Das Haus des Daedalus
hinweg.
Zwei Gestalten wurden in der Gasse sichtbar, zwei Männer, einer im Roll stuhl sitzend, der andere aufrecht dahinter. Augenscheinlich hatten sie Jupiter noch nicht bemerkt.
Der Mann im Rollstuhl trug einen dunklen Anzug und einen schwarzen Hut mit breiter Krempe. Auf seiner Nase saßen runde Brillengläser in einem zarten goldenen Drahtgestell. Jupiter schätzte ihn auf Mitte Sechzig. Sein erster Gedanke war, daß es sich um einen vatikanischen Würdenträger handeln mußte. Auffällig war jedoch das Fehlen aller kirchlichen Insignien, nicht einmal einen Ring trug der Mann. Obwohl er ungewöhnlich dünn war, saß sein Anzug wie angegossen. Eine teure Maßanfertigung mit blitzender Nadel am Revers.
Der zweite Mann war in Jupiters Alter, überaus breitschultrig und gewiß an die zwei Meter groß. Auch er trug einen dunklen Anzug. Eine Chauffeursmütze bedeckte sein blondes Haar. Skandinavier, dachte Jupiter, oder Osteuropäer.
Der Chauffeur schob den Rollstuhl sanft von der Bordsteinkante und über die Straße. Jupiter huschte gebückt hinter der Limousine zum nächsten parkenden Wagen und versteckte sich dahinter.
Der alte Mann sagte etwas zu seinem Begleiter, das Jupiter nicht verstehen konnte. Es klang wie Tschechisch oder Polnisch. Er hatte sich in den vergangenen Jahren ein gutes Gehör für Sprachen zugelegt; selbst wenn er den Sinn nicht verstand, konnte er den Klang der Worte recht zuverlässig einem bestimmten Land zuordnen. Ein angenehmer Nebeneffekt seiner zahllosen Reisen kreuz und quer durch Europa.
Der Chauffeur antwortete, und das einzige, was Jupiter heraushörte, war die Anrede »Professor«. Der alte Mann schaute auf seine Armbanduhr und nickte zufrieden.
Jupiter fluchte insgeheim, als er sah, daß der Chauffeur die linke Hintertür der Limousine öffnete. Aus einem Versteck auf der anderen Straßenseite hätte er jetzt hineinschauen können. So aber konnte er nur beobachten, wie der Chauffeur dem Professor aus dem Rollstuhl halfoffenbar konnte der alte Mann mit ein wenig Hilfe durchaus einige Schritte machen, er war also nicht gelähmt … und ihn im Inneren der Limousine plazierte. Jupiter horchte, ob auf dem Rücksitz Worte gewechselt wurden, konnte aber nichts hören. Vermutlich war der Wagen tatsächlich leer gewesen.
Angespannt sah er zu, wie der Chauffeur den Rollstuhl zusammenklappte und im Kofferraum verstaute, mit der fließenden Bewegung eines Leguans auf den Fahrersitz glitt und den Motor anließ. Die Limousine fuhr in nördlicher Richtung davon.
Langsam richtete Jupiter sich auf.
An der nächsten Kreuzung bog der Wagen ab und verschwand hinter den alten Häuserfronten.
Jupiter eilte über die Straße und betrat die enge Gasse. Knöchelhoch lag der Schmutz in den Ecken. Von oben ertönten aufgekratzte Stimmen aus einem Fernsehapparat, leicht verzerrt hallten sie zwischen den hohen Mauern wider.
Die Gasse mündete in einen Hinterhof, der zu drei Seiten von fensterlosen Backsteinwänden eingefaßt war. An der vierten Seite aber, genau gegenüber der Gasse, erhob sich die Fassade eines alten Herrschaftshauses, dreistöckig und mit zerfallenen Stuckarbeiten geschmückt. Das Dach war flach und von einer Renaissancebalustrade umfaßt.
Rechts von Jupiter lag das Blechgerippe einer ausgeschlachteten Vespa, ansonsten war der Hof erstaunlich sauber. Keine aufgeplatzten Müllbeutel oder aufgeweichten Pappkartons, kein vergessenes Kinderspielzeug oder entnadelte Weihnachtsbäume, nichts von dem, was Jupiter an einem Ort wie diesem erwartet hatte.
Man hatte die Fenster des Palazzo von innen mit Brettern verbarrikadiert, aber das mußte bereits Jahre zurückliegen. An vielen Stellen hatte die Witterung das Holz morsch werden lassen. Irgendwer hatte schmale Öffnungen hineingebrochen, die auf Jupiter den Eindruck von Schießscharten machten.
Zielstrebig ging er auf den Eingang des Palazzo zu, ein bogenförmiges Doppeltor, dessen linker Flügel ausgehängt war. Dahinter herrschte graues Zwielicht.
Er fragte sich, was die Männer aus der Limousine hier zu suchen gehabt hatten. Vermutlich waren sie wegen Cristoforo hier gewesen. Dann aber entdeckte er an der Mauer neben der Tür eine Blechplakette, die das Gemäuer als Eigentum des Vatikans kennzeichnete. Hatte Coralina nicht gesagt, es gäbe Unstimmigkeiten zwischen den verschiedenen Parteien, die das Haus für sich beanspruchten? Zumindest der Vatikan schien diese Streitfrage in seinem Sinne gelöst zu haben. Gut möglich also,
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