Das Haus des Daedalus
geflattert. Irgendwer hat ihn aus dem Fluß gezogen. Der Polizeibericht sagt nur … warte, Augenblick …« Blätter raschelten, als der Mann seine Papiere sortierte. »Hier ist es. Starke Verletzungen am Kopf. Vermutlich Tod durch Gewalteinwirkung, steht hier.« Der Mann lachte bitter. »Darf man ja wohl annehmen … es sei denn, der Gute hätte sich den Schädel an einer Wand eingerannt und wäre dann übers Brückengeländer gefallen.«
Coralinas Magen zog sich zusammen. Der Telefonhörer in ihrer Hand fühlte sich mit einem Mal eiskalt an. Sie hörte, wie die Shuvani angestrengt ein-und ausatmete.
Der Mann am Telefon war Lorenzo Arera, ein Redakteur des Corriere della Sera. Er schaute häufig im Laden der Shuvani vorbei und hatte ihr wegen einiger Suchaufträge seinen Namen und seine Telefonnummer gegeben. Die Shuvani hatte ihn angerufen, um mehr über Cristoforo herauszufinden. Arera hatte einmal über ein paar Straßenmaler berichtet, die den Boden einer alten Fabrikhalle zu einer Art Galerie umfunktioniert hatten. Der Journalist hatte sich damals mißbilligend über das Talent der jungen Leute geäußert und sich die Bemerkung erlaubt, daß es schon mehrerer Künstler vom Schlage eines Cristoforo bedürfe, um ein derartiges Projekt zum Erfolg zu führen. Die Shuvani hatte angenommen, daß Arera einiges über den alten Maler wußte. Mit einem Anruf in der Redaktion, so hatte sie gehofft, würde sie vielleicht etwas mehr über ihren gestrigen Besucher in Erfahrung bringen können.
Und dann das, die Nachricht vom Tod Cristoforos.
»Im Obdachlosenmilieu ist so etwas nicht allzu selten«, stellte Arera fest. »Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht einer von denen im Fluß treibt. Diesmal hat es eben Cristoforo erwischt. Schade, er hatte Talent.«
»Haben Sie eine Ahnung, wie es überhaupt so weit mit ihm gekommen ist?« Die Shuvani gab sich hörbar Mühe, das Beben in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Was hat er gemacht, bevor er auf der Straße lebte?«
»Er hat Gemälde restauriert«, erwiderte der Journalist, »Fresken. Hat lange in der Sixtinischen Kapelle und im Petersdom gearbeitet. Er war jahrelang einer der bevorzugten Fachleute des Vatikans, hatte sogar eine Festanstellung, wenn ich mich recht erinnere. Ich weiß nicht, wie gut Sie sich in der Branche auskennen, aber glauben Sie mir, so was hat Seltenheitswert.«
»Meine Nichte ist Restauratorin. Sie hat bis vor ein paar Tagen für den Vatikan gearbeitet.«
»Sehen Sie … bis vor ein paar Tagen! Das ist der Punkt. Restauratoren sind so gut wie nie fest angestellt, schon gar nicht im Vatikan. Aber Cristoforos Können wollte man sich dann doch nicht entgehen lassen. Er muß über zwanzig Jahre dort gearbeitet haben.«
»Warum hat er aufgehört?«
»Durchgedreht. War nicht mehr ganz richtig im Kopf. Hatte irgendeine Krankheit, nehme ich an. Vor ein paar Jahren hat man ihn entlassen, von einem Tag auf den anderen. Die haben ihn einfach an die Luft gesetzt. Soweit ich weiß, wurde er eine Weile in einem Kloster gepflegt, ehe er auch von dort verschwand und später als Straßenmaler wieder auftauchte.« Arera seufzte. »Mehr weiß ich leider auch nicht.«
»Wo haben die ihn aus dem Wasser gezogen?«
Einige Sekunden vergingen, während Arera die knisternde Polizeimitteilung studierte. »An der Ponte Mazzini. Hat noch nicht lange im Wasser gelegen, steht hier. Höchstens ein paar Stunden.«
Coralina krallte ihre Hand fester um den Hörer. Die Ponte Mazzini, eine der kleineren Brücken Roms, war nicht weit von hier entfernt. Wahrscheinlich war Cristoforo umgekommen kurz nachdem er gestern abend das Haus verlassen hatte.
Nicht umgekommen, verbesserte sie sich. Er war ermordet worden. Jemand hatte ihm den Schädel eingeschlagen und seinen Leichnam in den Fluß geworfen.
Sie legte den Hörer auf, ohne das Ende des Gesprächs mitanzuhören. Wenig später lenkte sie den Lieferwagen der Shuvani Richtung Trastevere.
Im ersten Stock des Palazzo entdeckte Jupiter ähnliche Bilder wie im Erdgeschoß, zum Teil exakte Kopien der unteren Räume, zum Teil auch neue, erschreckende Ausblicke auf Piranesis dunkles Genie.
Schließlich, im Obergeschoß, stieß er auf ein Abbild des siebzehnten Kupferstichs. In einem langgestreckten Saal hatte Cristoforo die beiden größten gegenüberliegenden Wände damit bedeckt. Es war genauso, wie Coralina gesagt hatte: Der unterirdische Flußlauf war da, schlängelte sich grau und fast ohne Strömung durch die
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