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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Kerkerszenerie, doch die Insel in der Mitte fehlte, und mit ihr der Obelisk und der Umriß des Schlüssels. Was immer Cristoforo gesehen hatte, es war demnach nicht das Original, nicht die Kupferplatte gewesen. Vermutlich war er auf einen Druck der Platte gestoßen, aus dem irgendwer ein Stück entfernt hatte. Vielleicht hatte man den Teil mit dem Schlüssel herausgerissen oder beim Drucken abgedeckt.
    Auf der einen Seite fand Jupiter diesen Gedanken beruhigend, deutete er doch mit einiger Sicherheit darauf hin, daß die Kupferplatte unentdeckt geblieben war. Andererseits aber konnte ihnen auch ein gedrucktes Exemplar gefährlich werden. Wenn Cristoforo es gesehen hatte, mochten auch andere davon wissen. Somit wäre die Existenz der siebzehnten Platte bekannt.
    Die letzten beiden Räume des Obergeschosses waren nahezu unbearbeitet. In einem Saal, dessen Fenster nach hinten auf einen weiteren Innenhof wiesen, lagen ein Knäuel alter Decken und ein schmutziger Wintermantel.
    Eine der Wände war mit groben Strichen bedeckt, Silhouetten klobigen Kerkerinventars.
    Cristoforo selbst war nirgends zu finden. Jupiter vermutete, daß er sich beim Auftauchen des Professors und seines Chauffeurs aus dem Staub gemacht hatte. Dennoch … die vage Vorstellung, aus einem Versteck heraus beobachtet zu werden, beunruhigte ihn mehr, als er sich eingestehen mochte.
    Er schaute sich auch in dem zweiten unbemalten Raum um, fand jedoch nichts außer einer leeren Wasserflasche aus Plastik und einer dichten Staubschicht auf dem Boden.
    Vom Korridor drang ein scharrendes Geräusch herein, ganz kurz nur … dann war es wieder still.
    Jupiter lief hinaus auf den Gang. Er war leer.
    »Hallo? … Ist da jemand?«
    Niemand antwortete.
    Er bewegte sich langsam den Gang hinunter. Es gab acht Räume hier oben, vier auf jeder Seite des Korridors. Im Vorbeigehen schaute er durch die offenen Türen, entdeckte aber nichts Auffälliges.
    »Hallo?« rief er noch einmal. Abermals vergeblich.
    Er näherte sich bereits den beiden letzten Türen vor der Treppe, als ihm im nachhinein etwas Ungewöhnliches in einem der Zimmer auffiel, die er gerade passiert hatte.
    Rasch drehte er sich um und überwand die wenigen Meter bis zur Tür des Raums. Er atmete noch einmal tief durch, bevor er eintrat.
    Die gegenüberliegende Wand war mit einer Kopie des dreizehnten Carceri-Stichs bedeckt, mit Treppen und Ketten und bizarren Foltergeräten. Auf den ersten Blick wirkte das Bild nicht ungewöhnlicher als die anderen im Haus, und erst beim zweiten Hinsehen erkannte Jupiter, was ihn so irritiert hatte.
    In der rechten unteren Ecke des Wandgemäldes befand sich eine Tür. Sie ging so fließend in die Strukturen des Kerkers über, daß sie Teil des Bildes hätte sein können, und als solchen hatte Jupiter sie beim ersten Vorbeigehen wahrgenommen.
    Vorhin aber war sie geschlossen gewesen. Jetzt stand sie weit offen.
    Dahinter hing Schwärze wie ein Samtvorhang.
    Jupiter durchmaß mit vorsichtigen Schritten den Raum. »Cristoforo?«
    Er hatte die offene Tür fast erreicht, als er hinter sich im Flur Schritte hörte. Alarmiert wirbelte er herum, eilte zur Tür und schaute hinaus.
    Vor ihm stand ein Mann, dunkelhaarig, mit ausgezehrten Gesichtszügen. Er trug schmutzige Jeans und ein Hemd voller Flecken. In seiner Hand hielt er eine Reisetasche, deren klobiger Inhalt den Boden nach unten ausbeulte.
    Bevor Jupiter etwas sagen konnte, stieß der Mann plötzlich einen wilden Schrei aus und setzte sich in Bewegung. Im ersten Moment glaubte Jupiter, er wolle sich auf ihn stürzen, doch der Mann nutzte lediglich das Überraschungsmoment aus und drängte sich an ihm vorbei.
    »Warten Sie!« rief Jupiter, während der Mann hinkend, aber erstaunlich schnell zur Treppe lief. Er wollte nach oben, die schmaler werdenden Stufen hinauf, zu einer Luke in der Decke, die vermutlich auf das Dach des Gebäudes führte.
    Während Jupiter ihm mit raschen Schritten folgte, schossen ihm mehrere Gedanken durch den Kopf: Der Mann mochte ein Herumtreiber sein, der sich zusammen mit Cristoforo hier eingenistet hatte. Gut möglich, daß das Haus in der Szene bekannt war -ja, ganz gewiß war es das … und daß es noch anderen Obdachlosen als Unterschlupf diente. Warum also diesen Mann verfolgen, der vermutlich nur irgendein Pechvogel war, unwichtig, was den Zusammenhang zwischen Piranesi, dem Vatikan und Cristoforo anging?
    Doch zwei Dinge hatten Jupiter stutzig gemacht. Zum einen das Holzkreuz, das der

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