Das Haus des Daedalus
sich, nach hinten greifend, mit beiden Händen fest und zögerte abermals. Drei Meter. Danach vielleicht ein Aufprall, der ihn mit den morschen Dachziegeln in die Tiefe reißen würde.
Die Entscheidung wurde ihm abgenommen.
Das Donnern einer Explosion ließ das Dach erzittern. Die Balustrade schwankte unter seinen Händen wie die Reling eines Schiffs bei starkem Seegang. Er sah, wie heller Verputz unter ihm auf die Dachziegel bröckelte. Als er sich umschaute, schoß eine Stichflamme aus der Luke, mehrere Meter entfernt, und doch heiß genug, um die Haare in seinem Nacken zu versengen. Die Druckwelle war stark genug, ihn vorwärtszuschleudern, fort von dem sicheren Sims und hinab in den Abgrund.
Jupiter schrie, als er mit den Füßen zuerst auf dem Dach aufkam, nach vorn stürzte und auf Händen und Knien landete. Einige Sekunden lang kauerte er benommen da, ehe hinter ihm eine zweite Explosion den Palazzo erschütterte. Mörtel und Staub rieselten auf ihn herab wie Puderzucker.
Er rappelte sich auf, drohte auf den Ziegeln auszurutschen, fing sich wieder und rannte über die flache Schräge. Hinter ihm stob schwarzer Rauch auf. In den angrenzenden Häusern wurde Geschrei laut, als Menschen aus ihren Fenstern blickten und sahen, daß das Gebäude in Flammen stand.
Jupiter erreichte den Dachgarten, drängte sich durch den dichten Bewuchs am Rand der Terrasse und entdeckte eine offene Tür zum Treppenhaus. Santino mußte dort hinab geflohen sein … es war der einzige sichere Weg nach unten.
Jupiter sprang die Stufen hinunter, immer drei auf einmal, ehe er unten durch einen dunklen Korridor zur Haustür taumelte.
Die ersten Schaulustigen hatten sich bereits versammelt.
Aber keiner beachtete Jupiter, als er schmutzig und atemlos aus dem Nachbarhaus stolperte. Er atmete einmal tief durch, und dann lief er los.
Er hatte bereits drei Häuserblocks hinter sich gelassen, als in der Ferne die erste Sirene ertönte.
Er lag in der Badewanne und sah winzigen Rußpartikeln zu, die wie mikroskopische Sonnensysteme in den Tropfen auf seiner Haut rotierten. Sogar nach dem zweiten Einseifen perlte das Wasser noch immer von dem dunklen Schmierfilm auf seinen Armen ab.
Beinahe wäre er vor Erschöpfung eingeschlafen, als plötzlich die Shuvani ins Bad stürmte, vorgab, seiner Nacktheit keine Aufmerksamkeit zu schenken, und gestenreich erzählte, was sie von einem befreundeten Journalisten über Cristoforo erfahren hatte.
Jupiter wurde sehr ruhig, als er vom Tod des Malers erfuhr. Er ließ heißes Wasser nachlaufen, aber die Temperatur wurde nicht angenehmer, nur schmerzhaft. Wenn es denn noch einer Bestätigung bedurft hätte, ihm klarzumachen, wie knapp er dem Tod entronnen war, so war es diese Nachricht. Diejenigen, die Cristoforo ermordet hatten, würden auch vor weiteren Gewalttaten nicht haltmachen.
»Noch etwas«, sagte die Shuvani, ehe sie das Badezimmer verließ.
»Ja?«
»Dein Freund hat angerufen. Der Zwerg.«
»Babio?« Er hätte ihrer Reaktion gerne mehr Beachtung geschenkt, doch dazu fehlte ihm im Augenblick die Kraft. Der alte Zwist zwischen ihr und dem Kunsthändler war nebensächlich geworden. »Was hat er gesagt?«
»Daß er dich treffen will, morgen am Pantheon.« Sie nannte ihm den Namen eines Cafes, von dem er noch nie gehört hatte. »Hat ziemlich aufgeregt geklungen. Mich würde interessieren, wieviel er weiß.«
»Angst vor seiner Provision?«
»Nein. Die geht ohnehin von deinem Anteil ab.«
Er hatte ihr nicht erzählt, was im Palazzo vorgefallen war, weil er nicht wollte, daß sie sich Sorgen um ihn machte. Jetzt aber bezweifelte er, daß sie überhaupt einen Gedanken an die möglichen Folgen seiner Flucht verschwendet hätte. Falls sein rußiger Anblick sie stutzig machte, so fand sie es offenbar überflüssig, sich nach dem Grund dafür zu erkundigen. Jupiter vermutete, daß sie allen emotionalen Komplikationen aus dem Weg ging, um ihre Entscheidung, die Platte zu unterschlagen, nicht in Frage stellen zu müssen.
»Um wieviel Uhr will Babio mich treffen?«
»Gegen elf, hat er gesagt.«
Jupiter nickte und schwieg.
Die Shuvani wollte sich gerade zurückziehen, als Schritte hinter ihr die Kellertreppe herabpolterten. Einen Augenblick später erschien Coralina im Türrahmen, drängte ihre Großmutter beiseite, beugte sich über ihn und drückte dem überrumpelten Jupiter einen heftigen Kuß auf die Stirn.
»Wofür war der?« fragte er unsicher, als sie erleichtert vor der Wanne in die Hocke
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