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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Mädchen nach Kreta schicken, die er dem Minotaurus, einem Ungeheuer, halb Mensch, halb Stier, zum Fraß vorwerfen würde.«
    Bei der Erwähnung eines Stiers erinnerte sich Jupiter an die Bemerkung Santinos, aber er wollte Coralina nicht unterbrechen.
    »Jahrelang wurde der Tribut entrichtet«, fuhr sie fort, »bis eines Tages der Held Theseus nach Athen kam, gegen die Ungerechtigkeit dieses Brauchs aufbegehrte und selbst als Opfer mit den anderen Jungen und Mädchen nach Kreta segelte. Er war der Überzeugung, unter dem Schutz der Götter zu stehen und daß es nur ihm gelingen könne, den Minotaurus zu besiegen.
    Doch in Kreta angekommen, verliebte er sich in Ariadne, die Tochter des Königs, und auch sie verguckte sich in den Schönling vom Festland.
    Spätestens hier kommt nun Daedalus ins Spiel. Er trug der Sage nach nicht nur die Verantwortung für das Labyrinth, sondern auch für die Zeugung des schrecklichen Minotaurus. Die Sache war nämlich so: Ariadnes Mutter, die Königin Pasiphae, hatte sich Jahre zuvor in einen weißen, dem Poseidon geweihten Stier verliebt.«
    »Hübsche Vorstellung«, bemerkte Jupiter.
    Coralina grinste. »Er wird schon seine Vorzüge gehabt haben … Auf jeden Fall wandte sie sich mit ihrem Problem an Daedalus, den großen Erfinder. Er konstruierte ihr eine hölzerne Kuh, in die sie hineinklettern konnte und sich so dem weißen Stier … na ja, hingeben konnte, wenn du weißt, was ich meine.«
    »Meine Phantasie reicht so gerade dazu aus.«
    »Pasiphae wurde schwanger und brachte einen gräßlichen Tiermenschen zur Welt, eben den Minotaurus. Minos, ihr Mann, war davon alles andere als angetan, wie du dir vorstellen kannst. Er ließ von Daedalus das größte Labyrinth der Welt errichten, in dessen Zentrum der Minotaurus gefangengehalten wurde. Um ihn ruhigzustellen, wurden ihm Menschenopfer dargebracht, zuletzt die Jungen und Mädchen aus Athen. Womit wir wieder den Bogen zu Theseus schlagen. Der nämlich sollte ebenfalls an die Bestie verfüttert werden. Doch auch Ariadne bat Daedalus um Hilfe. Er riet ihr, ihrem Geliebten eine lange Schnur mit ins Labyrinth zu geben, deren eines Ende am Eingang befestigt werden sollte. Auf diese Weise würde Theseus jederzeit den Weg zurück finden.
    Gesagt, getan … Theseus betrat mit dem Faden das Labyrinth, erschlug nach schwerem Kampf den Minotaurus und kehrte zurück ans Tageslicht. Er überreichte dem König den Schädel des Ungeheuers, doch Minos geriet außer sich vor Wut. Zwar gelang Theseus und Ariadne die Flucht von der Insel, aber dafür erging es unserem Freund Daedalus schlecht. Er wurde mit seinem Sohn Ikarus in das Labyrinth gesperrt, um dort zu verhungern. Doch Daedalus hatte natürlich wieder eine Idee. Aus Wachs und Vogelfedern baute er für sich und seinen Sohn zwei Paar großer Schwingen. Die beiden schnallten sich die Flügel auf den Rücken, und tatsächlich gelang ihnen so die Flucht. Doch beim Flug übers Meer erlag der junge Ikarus den Lockungen der Sonne, stieg zu weit auf und verbrannte. Daedalus aber flog niedergeschlagen weiter bis nach Sizilien, und dort verliert sich seine Spur.«
    »Und was hat es mit diesem Haus des Daedalus auf sich?«
    »Das Haus des Daedalus ist eine Metapher, wenn du so willst«, erklärte Coralina. »Als man im Mittelalter die Kathedrale von Chartres erbaute, wurde in ihren Boden ein Mosaik in Form eines Labyrinths eingelassen. Dessen Mittelpunkt bildet ein Porträt des Baumeisters … er wollte sich so in eine Linie mit Daedalus stellen, der damals bereits als größter aller Baumeister galt. Für dieses Labyrinth bürgerte sich der Begriff Haus des Daedalus ein. Er wurde später auf andere Labyrinthe in den Kathedralen ganz Europas und schließlich sogar auf Labyrinthe jeglicher Art übertragen. Daedalus ist noch heute die Symbolfigur der Architekten, und sein Haus ist das Labyrinth in all seinen Ausprägungen, vom englischen Heckenlabyrinth bis hin zu den antiken Irrgärten aus Stein.« »Es ist immer Nacht im Haus des Daedalus«, zitierte Jupiter. »Glaubst du, Cristoforo hat einfach nur Unsinn dahergeredet?«
    »Keine Ahnung«, gestand sie. »Fest steht nur, daß er mit Haus des Daedalus nicht den Palazzo in Trastevere gemeint hat.«
    Jupiter nickte. »Ein Labyrinth«, sagte er nachdenklich. »Irgendein Labyrinth …«
    Coralina stand mit einem Schulterzucken auf und reichte ihm ein Handtuch.

KAPITEL 5
    Kreuz aus Feuer
    Am Morgen seines vierten Tages in Rom machte sich Jupiter gemeinsam

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