Das Haus des Daedalus
ging.
»Mein Gott, Jupiter!« Sie war völlig außer Atem … nicht von dem Kuß, wie er mit leichtem Bedauern registrierte. »Das Haus hat gebrannt … Ich war dort und … ich hatte Angst um dich. Ich bin gleich hingefahren, als wir gehört haben, was mit Cristoforo passiert ist. Aber … ich weiß nicht … ich hab mich verfahren. Das ist mir noch nie passiert … plötzlich war ich ganz woanders, nicht mehr in Trastevere … Ich hatte diese Gassen noch nie vorher gesehen.«
Kurz blitzte die Erinnerung an die Taxifahrt nach seiner Ankunft in ihm auf, doch dann tat er die Parallele als Zufall ab.
»Mir ist ja nichts passiert«, beruhigte er sie.
»Der Palazzo hat in Flammen gestanden!« Sie strich sich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht, die an dem Schweißfilm auf ihrer Stirn hafteten. »Das ganze Viertel war voller Rauch. Die Feuerwehr kam kaum durch. Ich hab den Wagen irgendwo abgestellt und bin hingelaufen. Aber keiner konnte mir sagen, ob Menschen in dem Haus waren.« Sie holte tief Luft. »Scheiße, ich hab solche Angst gehabt!«
Er lächelte sanft. »Ich bin gerade noch rausgekommen, bevor das Feuer ausbrach.« Als sie einen ungläubigen Blick auf seinen rußverschmierten Arm warf, fügte er hinzu: »Na ja, während das Feuer ausbrach.«
»Die Geschichte wird immer gefährlicher«, sagte sie leise. »Erst Cristoforo, und jetzt du.«
Die Shuvani räusperte sich. »Immerhin lebt er ja noch.«
Coralina sprang wütend auf und machte einen drohenden Schritt auf ihre Großmutter zu. »Es reicht!« fuhr sie die alte Zigeunerin an.
»Endgültig! Dir ist wirklich alles recht, um den Laden zu retten, oder? Aber hast du schon mal darüber nachgedacht, daß du selbst es warst, die uns in diese Lage gebracht hat?«
Die Shuvani wollte etwas erwidern, doch Coralina ließ ihr keine Zeit dazu. »Wenn es nicht zu spät wäre, alles rückgängig zu machen, würde ich die Kupferplatte auf der Stelle zurückbringen.« Sie zögerte und sagte leiser: »Vielleicht sollten wir das verdammte Ding einfach in den Fluß werfen.«
»Nein«, meldete sich Jupiter zu Wort. »Das werden wir nicht tun. Jetzt nicht mehr.« Sie hatten zuviel riskiert, um jetzt einfach aufzugeben. »Der Brandanschlag hat nicht mir gegolten. Niemand wußte, daß ich in dem Haus war. Alles, was die wollten, war, Cristoforos Bilder zu zerstören.«
Coralina trat zurück an die Wanne. »Was für Bilder?«
Die Shuvani nutzte die Gelegenheit zum Rückzug. »Ich bereite dann mal das Essen vor.« Mit ihren letzten Worten war sie draußen und zog die Tür hinter sich zu.
Jupiter erzählte Coralina von den Wandmalereien in den Sälen des Palazzo. Er berichtete auch von dem Professor im Rollstuhl, seiner Begegnung mit dem sonderbaren Kapuzinermönch und den drei Männern mit den Benzinkanistern. »Noch haben sie es nicht auf uns abgesehen«, sagte er abschließend. »Und das müssen wir ausnutzen.«
»Aber wie? Wir haben ja nicht mal einen vernünftigen Plan.«
»Babio will mich treffen. Morgen vormittag. Er muß irgendwas rausgefunden haben.«
»Dann komme ich mit.«
Jupiter hob die Schultern. »Er wird sich freuen, dich kennenzulernen.«
Sie beäugte ihn zweifelnd, fragte aber nicht weiter. Statt dessen berichtete sie ihm, was sie über das mysteriöse Haus des Daedalus herausgefunden hatte.
»Daedalus ist eine Gestalt aus der griechischen Mythologie … aber das weißt du wahrscheinlich.«
»Er war der Vater von Ikarus, glaube ich.«
Coralina nickte. »Daedalus galt als einer der größten Erfinder und Architekten der Antike. Es heißt, er habe auf Kreta für König Minos das berühmte Labyrinth des Minotaurus gebaut. Wie gut kennst du die Geschichte?«
Er begann erneut, seine Arme einzuseifen. »Nicht allzugut. Nur die Kurzfassung, mehr ist nicht hängengeblieben.«
»Ich hab die ganze Sache heute nachgelesen, im Internet und in ein paar Büchern im Laden«, sagte sie. »Kreta war damals die stärkste Nation in der Ägäis. König Minos beherrschte die See mit Hilfe einer mächtigen Flotte. Sein Sohn Androgeos reiste eines Tages nach Athen, um dort an einem Wettkampf teilzunehmen, den er prompt gewann. Neidische Athener aber gönnten ihm den Sieg nicht. Sie griffen ihn aus dem Hinterhalt an und brachten ihn um. Verständlicherweise erregten sie damit Minos’ Zorn. Es kam zur Schlacht, und Athen unterlag. Der Sieger Minos forderte für den Tod seines Sohnes grausame Vergeltung: Jahr für Jahr sollten die Athener fortan sieben Jungen und sieben
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