Das Haus des Daedalus
mit Coralina auf den Weg zur Rotonda, dem Platz vor dem altehrwürdigen Pantheon im Herzen Roms.
Unterwegs holten sie in einem Fotoshop die fertigen Bilder ab. Coralina hatte Jupiters Film am Abend zum Entwickeln gegeben und den jungen Mann an der Annahme mit einem Lächeln und einem Trinkgeld dazu gebracht, die Arbeit daran vorzuziehen.
Auf dem Weg zum Wagen schauten sie sich die Abzüge an. Jupiter war enttäuscht.
»Das hab ich befürchtet.« Sein Blick wanderte rasch von einem Foto zum nächsten. Auf allen war nur die Fensterscheibe der Limousine zu sehen, in der sich Jupiters verschwommener Umriß spiegelte. Auf einigen konnte man die Kamera erkennen, auf anderen nur ein dunkles Oval.
Coralina betrachtete eines der Bilder genauer. »Auf dem hier sieht es aus, als wäre tatsächlich jemand hinter der Scheibe.«
Jupiter nahm den Abzug und schüttelte den Kopf. »Das ist nur die Spiegelung.«
»Bist du sicher?« Sie griff wieder nach dem Foto und kippte es leicht hin und her, als könnte sie dadurch ein zweites Motiv unter dem ersten sichtbar machen. »Ich weiß nicht … Das hier könnte jemand sein. Hier, das sieht aus wie Wangenknochen, und das hier könnte eine Braue sein.« »Meine Wangenknochen und meine Braue«, sagte Jupiter.
Coralina glitt hinter das Steuer und schaute auf die Uhr. »Wir haben Zeit. Ich möchte das Bild gerne zu einem Freund bringen. Fabio kennt sich mit so was aus.«
»Mit Gesichtern?«
»Mit Computern. Er macht digitale Nachbearbeitungen und solche Sachen. Vielleicht kann er das Foto irgendwie filtern. Er kann’s zumindest versuchen.«
Jupiter hielt das für Zeitverschwendung, ließ Coralina aber ihren Willen. Eine Viertelstunde später hielten sie vor einem ockerfarbenen Mietshaus nahe der Piazza Barberini. Coralina verschwand für zehn Minuten im Inneren. Als sie wieder herauskam, stieg sie ein und fuhr los, Richtung Pantheon.
»Und?« fragte Jupiter. »Was sagt er?«
»Er wird’s versuchen.«
»Was für eine Art Freund ist er?«
Ihre rechte Augenbraue zuckte nach oben. »Was für eine Art Frage ist das?«
»Reine Neugier.«
Sie unterdrückte ein Lächeln. »Nur ein Freund. Eigentlich der Freund einer Freundin. Beruhigt?«
»Ich war nie beunruhigt.«
Coralina schaute rasch nach links und grinste verstohlen. Er bemerkte es trotzdem.
»Was ist daran so lustig?« erkundigte er sich.
»Die Shuvani hat mich vor dir gewarnt.«
»Ich nehme an, deshalb hat sie dir von Barcelona erzählt.«
»Damals, als du zum ersten Mal bei uns warst, da hab ich ihr erzählt, daß ich …«, sie schien zu überlegen, wie sie den Satz am besten beendete, »dich mag.«
»Oh-oh.«
Coralina lachte. »Sie hat damals eine Menge netter Dinge über dich gesagt. Aber auch, daß sie dich umgebracht hätte, wenn du in dieser Nacht auch nur einen Finger …«
»Ich glaube nicht, daß es ihr um meinen Finger ging«, unterbrach er sie grinsend.
Sie knuffte ihn mit der Faust gegen den Oberschenkel. »Wahrscheinlich nicht.«
»Und heute hat sie noch immer die gleichen … hm, Vorbehalte?«
Coralina zuckte die Achseln.
Er aber blieb beharrlich. »Jetzt bin ich neugierig. Was hat sie gesagt?«
»Deine Beziehung zu Miwa hat ihr nicht gefallen. Sie hat gesagt, daß …« Sie brach kopfschüttelnd ab und lächelte. »Nein, das willst du nicht hören.«
»Los, raus damit.«
Coralina druckste herum. Das Thema wurde ihr zusehends unangenehm. »Sie sagt, daß diese Beziehung ein Zeichen deiner Schwäche war … Warte, du mußt versuchen, sie zu verstehen! Sie hat viele Jahre ihres Lebens auf der Straße verbracht. Die Gesellschaft der Roma ist streng strukturiert. Du weißt schon … Männer müssen eben echte Männer sein, all dieses Machogehabe …«
»Sie hält mich für schwach?«
Coralina bremste hart, als ein paar Kinder eine Kreuzung überquerten. »Nicht im herkömmlichen Sinn. Wenn sie schwach sagt, meint sie eher so was wie … instabil.«
»Instabil!«
»Komm schon, nimm’s ihr nicht übel.«
Vor ihnen wechselte eine japanische Touristengruppe die Straßenseite. Er verfluchte sich, weil er selbst in einem Augenblick wie diesem nach Miwa Ausschau hielt.
Als er wieder zu Coralina blickte, sah er, daß sie bemerkt hatte, was in ihm vorging. Den Rest der Fahrt verbrachten sie schweigend.
Auf der Piazza Collegio Romano fanden sie eine Parklücke und vertrauten den Wagenschlüssel einem alten Parkplatzwächter an, der ihn zu ein paar Dutzend weiteren Schlüsseln auf ein langes Band
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