Das Haus des Daedalus
bedeutet, daß die Scherbe viel mehr wert ist, als wir bislang angenommen haben. Wenn er nicht von sich aus höher geht, dann wird es ein anderer tun. Ihr habt mich hergeholt, damit ich euch beim Verkauf helfe … und das werde ich tun, und zwar so gut ich kann. Das oberste Gebot in diesem Geschäft ist, niemals das erste Angebot anzunehmen, ganz gleich, was für eine Geschichte dir dein Gegenüber auftischt.«
»Aber das, was er gesagt hat …«
»Ist vielleicht die Wahrheit, ja sicher, vielleicht aber auch nicht.«
Jupiter hatte das Gefühl, daß sich die Gasse um ihn drehte, daß er zusammen mit seiner Umgebung in einen tiefen Abgrund stürzte.
»Ich habe einen Auftrag angenommen, und den werde ich ausführen, und zwar zu den bestmöglichen Konditionen.«
Sie blickte ihm fest in die Augen. »Wem willst du eigentlich etwas beweisen, Jupiter? Dir selbst? Oder Miwa?«
»Das hat nichts mit …«
»Oh doch, das hat es«, fiel sie ihm aufgebracht ins Wort. »Sie hat dich verlassen. Sie hat dich ruiniert. Aber du läufst immer noch dieser verqueren Wunschvorstellung hinterher, ihr könntet wieder zusammenkommen. Und als wäre das nicht schlimm genug, verquickst du diese blöde Geschichte mit unseren Angelegenheiten hier in Rom. Verdammt, Jupiter, ich weiß, daß man Fehler auch bei sich selbst sucht, wenn man verlassen wird, aber Miwa wird nicht zu dir zurückkehren, nur weil du für die Scherbe einen möglichst hohen Preis herausschlägst.«
Es erschreckte ihn, wie leicht er zu durchschauen war, und es schmerzte doppelt, daß ausgerechnet Coralina ihn mit der Wahrheit konfrontierte. Natürlich hatte sie recht -er hatte lange genug gefürchtet, ohne Miwa nicht mehr auf die Beine zu kommen. Und, ja, er glaubte tatsächlich, daß es seinem Selbstbewußtsein nur gut täte, wenn er diesen Auftrag erfolgreich zu Ende bringen würde … so es das denn überhaupt noch war, ein simpler Auftrag. Belog er sich damit nicht selbst?
Coralina geriet allmählich in Rage. »Wenn Miwa dir eingeredet hat, ein Versager zu sein, und du zu dumm bist, um die Wahrheit zu erkennen … gut, dein Problem. Aber zieh uns nicht in deinen privaten Kleinkrieg gegen dich selbst hinein!« Sie atmete tief durch. »Wir hätten das beschissene Geld nehmen und ihm die Platte gleich noch als Zugabe geben sollen.«
Jupiter wich ihrem Blick einen Moment lang aus, dann riß er sich zusammen. »Mag sein, daß du recht hast.« Natürlich hast du das.
»Mag auch sein, daß es ein Fehler war, Babio hinzuhalten.« Das wissen wir doch beide. »Aber es ist zu spät, jetzt zurückzugehen und sein Angebot anzunehmen. Nicht, wenn wir auch nur eine Spur von Glaubwürdigkeit behalten wollen.«
Coralina zögerte. Schließlich nickte sie gefaßt. »Gut, dann gehen wir eben essen.«
Er hatte das Gefühl, daß es ihr leid tat, so offen gewesen zu sein, doch er war ihr nicht böse. Ehrlichkeit war etwas, das er dringend nötig hatte. Er war zu lange belogen worden … erst von Miwa, dann von sich selbst.
Die Trattoria lag am Ende eines überbauten Durchgangs, dessen Wände mit Bastmatten verkleidet waren, flankiert von großen Pflanzenkübeln. In einem winzigen Innenhof, nicht größer als Jupiters Schlafzimmer im Haus der Shuvani, standen ein halbes Dutzend Tische unter riesigen Leinensonnenschirmen. Der Stoff war an vielen Stellen verschimmelt, aber das störte hier niemanden, genausowenig wie das feuchte Mauerwerk und die abgeblätterte Farbe. Jupiter hatte schon früher hier gegessen und wußte, daß es sich um eine der besten Trattorien Roms handelte. Die Speisekarte war kurz und hervorragend. Das Essen wurde in heißen Pfannen serviert, war nur aus frischen Zutaten zubereitet und schmeckte phantastisch. Zudem hatte das Lokal den Vorteil, daß Jupiter nie mit Miwa hiergewesen war … er wollte nicht, daß sein Aufenthalt in Rom zu einer Schnitzeljagd auf ihren Spuren entgleiste.
Mit Rücksicht auf Jupiters Allergie bestellte Coralina Weißwein in offenen Karaffen, die … wie sie lachend anmerkte … aussahen wie Urinflaschen im Krankenhaus. Es war einfacher Landwein, nicht teuer, aber stark genug, um Coralina albern und Jupiter geschwätzig zu machen. Er erzählte ihr mehr über Miwa und sich selbst als jedem anderen Menschen, und er gestand ihr, daß er nicht wußte, ob er jemals über sie hinwegkommen würde. Coralina versuchte ihn durch bizarre Episoden aus dem Leben der Shuvani aufzuheitern. Schließlich ergriff sie auf dem Tisch seine Hand und ließ
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