Das Haus des Daedalus
sie nicht mehr los.
An den Nebentisch setzten sich zwei Priester in Begleitung zweier Frauen. Coralina brachte eine ganze Minute vor lauter Kichern kein Wort heraus, ehe sie flüsternd darüber spekulierte, was die vier wohl heute abend unternehmen würden. Es war nicht nur der Wein, der sie albern und anzüglich werden ließ, es war vielmehr die Atmosphäre dieses Orts, abgeschottet von der Außenwelt. Für eine Weile gelang es ihnen, alle Gedanken an Cristoforo und Piranesis Vermächtnis zurückzudrängen und sich zu verhalten wie ein Mann und eine Frau, die einfach nur den Tag und ihr Zusammensein genießen.
Sie hatten eine gute Stunde lang so gesessen und über alles mögliche geredet, als Coralina das Gespräch unvermittelt auf den Zwerg zurückbrachte. »Wir hätten sein Angebot wirklich annehmen sollen.«
Jupiter war zu stolz, um sich einzugestehen, daß er in zu kurzer Zeit viel zuviel Weißwein getrunken hatte. Mit einemmal klangen Coralinas Worte überaus einleuchtend. Er war nicht sicher, ob es am Alkohol lag; möglich, daß der Wein seine Sinne berauscht, aber seine Vernunft wachgerüttelt hatte. Er erkannte jetzt deutlich, daß Coralina die ganze Zeit über recht gehabt hatte. Babios Angebot war unbestritten großzügig, ganz gleich, welche Motive sich dahinter verbargen, und es anzunehmen würde ihnen auf einen Schlag die ganze Last von den Schultern nehmen. Vielleicht war es sogar eine gute Idee, ihm auch die Kupferplatte anzubieten. Er würde sie weit unter Preis kaufen, ganz ohne Frage, schon allein, weil kaum etwas seinem Spezialgebiet ferner liegen konnte als Radierungen. Und doch … es war eine Chance, allen Ärger loszuwerden und sogar noch ein einträgliches Geschäft zu machen.
Jupiter gab sich geschlagen. Coralina lächelte erfreut und zahlte die Rechnung.
Aus dem Durchgang traten sie hinaus auf die Gasse. Die Häuser zu beiden Seiten waren hoch, die Straße düster. Vor einer Mauer stand ein Baugerüst und warf ein Netz von Schatten.
»Glaubst du, er sitzt noch im Cafe?« fragte Coralina.
»Vielleicht. Wenn er deinen Einfluß auf mich richtig einschätzt, ganz bestimmt.«
Wie konnte ich mich nur in solch einer Situation betrinken? dachte er, doch es tat ihm nicht wirklich leid. Coralina hatte genausoviel Wein getrunken, und auch ihre Stimme klang belegt.
Sie gingen zurück zur Rotonda, durch einen verschwommenen Wirbel aus Farben und Körpern und Stimmen aus aller Herren Länder. Ein kühler Wind fegte über den Vorplatz des Pantheons, aber kaum jemand störte sich daran. Die Kuppel des uralten Tempelbaus thronte wie ein aufgehender Mond über dem Platz, grau und zerfurcht von fast zweitausend Jahren, die sie sich über diesem Ort erhob.
Die Straßencafes rund um den Platz waren gut besetzt, auch jenes, in dem sie sich mit Babio getroffen hatten. Zwischen all den Menschen mußte Jupiter mehrmals hinsehen, ehe er den Zwerg wiederfand, fast völlig verdeckt von den Männern und Frauen an den Nebentischen.
Babio saß da und blickte schweigend über den Platz zum Pantheon, so als sei ihm zwischen den Granitsäulen am Eingang ein Geist erschienen.
»Babio?«
Jupiter drängte sich zwischen den vollbesetzten Tischen zum Platz des Zwerges.
Die Augen des Kunsthändlers waren weit aufgerissen. Er hatte eine Hand mit der Getränkekarte auf seine Brust gepreßt wie ein Gläubiger sein Gebetbuch. Er saß vollkommen still, ohne jede Regung, während um ihn der Trubel Roms tobte.
»Babio?«
Jupiter legte eine Hand auf die Schulter des Zwerges.
Die Getränkekarte vor der Brust des kleinen Mannes verrutschte. Darunter war das Revers seines weißen Jacketts getränkt von zähem Dunkelrot.
»O nein!« Coralinas Flüstern war ganz nah an Jupiters Ohr und dennoch unendlich weit entfernt. Er hatte das Gefühl, ganz allein mit Babio zu sein, an einem Ort, so fremd und kalt, daß es ihm die Kehle zuschnürte.
Äußerst behutsam hob er die starre Hand des Zwerges, bis die Karte wieder über der Einschußwunde lag. Babio hatte recht gehabt: Nirgends war man so gut versteckt wie in aller Öffentlichkeit. Nicht einmal als Leiche.
Wie lange mochte er schon so dasitzen? Seine Armgelenke ließen sich noch bewegen, doch die Finger, die sich um die Karte krallten, waren bereits steif.
Coralina trat wie betäubt einen Schritt zurück. Dabei stieß sie mit dem Rücken gegen eine Frau am Nachbartisch. Coralina murmelte eine Entschuldigung, während die Frau sie von oben bis unten musterte.
Jupiter ergriff
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