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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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erkennen. Und doch wußte er, was es war. Herrgott, er wußte es - weil er es nicht zum ersten Mal gesehen hatte!
    Ganz langsam richtete Santino sich auf, steckte das Equipment in die Reisetasche und trat ans Ufer des Tiber.
    Er war nicht bereit für einen weiteren Blick, würde nie wieder bereit dazu sein. Er hatte schon zuviel gesehen. Niemals würde er verstehen, woher Remeo danach noch die Kraft genommen hatte, sich die Treppe hinaufzuschleppen und ihm die Bänder zu übergeben.
    Die Kraft des Irrsinns, durchfuhr es ihn. Ja, das war es. Die Kräfte eines Irrsinnigen.
    Santino holte aus, dann schleuderte er die Tasche mit aller Kraft hinaus auf den Fluß. Stumm und reglos sah er zu, wie sie im pechschwarzen Wasser versank.

KAPITEL 6
    Die Adepten der Schale
    Coralina lief aufgeregt im Wohnzimmer der Shuvani auf und ab. »Wir müssen sie loswerden«, sagte sie zum dritten Mal innerhalb weniger Minuten. »Die Scherbe und auch die Kupferplatte. Ich will das Zeug aus dem Haus haben!«
    Jupiter beobachtete Coralinas Spiegelbild in der Glastür zum Dachgarten. Draußen war es dunkel geworden. Durch das Pflanzendickicht schimmerten hier und da die Lichter eines Nachbarhauses. Er saß im ledernen Lesesessel der Shuvani und fühlte sich seltsam geborgen zwischen den halbrunden Ohren der Lehne.
    »Es ist zu spät«, sagte er. »Wer immer Babio getötet hat, weiß, daß wir die Scherbe haben. Sie haben uns in dem Cafe mit ihm beobachtet.« Leiser fügte er hinzu: »Ehrlich gesagt wundert es mich, daß sie noch nicht hier aufgetaucht sind.«
    Die Shuvani nickte beipflichtend. Sie saß am Eßtisch und drehte ein Weinglas in ihren fleischigen Händen. »Warum haben sie versucht, euch die Scherbe durch Babio abzukaufen? Sie hätten euch einfach abfangen und dir die Scherbe abnehmen können.«
    Coralina blieb stehen und sah Jupiter im Spiegel der Fensterscheibe eindringlich an. »Vielleicht hat Babio die Wahrheit gesagt.«
    »Babio?« Die Shuvani hustete gekünstelt. »Mir tut ja leid, was mit ihm passiert ist, aber mit der Wahrheit hat der kleine Mann es nie allzu genau genommen.«
    »Im Gegensatz zu dir, nicht wahr?« bemerkte Jupiter trocken.
    Coralina fuhr herum und fauchte ihre Großmutter an: »Wie naiv bist du eigentlich? Babio ist tot, weil wir die Platte und die Scherbe gestohlen haben.«
    »Gibst du etwa mir die Schuld an seinem Tod?«
    »Uns allen dreien. Verdammt, du verurteilst Babio und bist nicht mal dir selbst gegenüber ehrlich!«
    Die Shuvani wich Coralinas Blick aus und schwieg.
    Ihre Enkelin trat einen Schritt auf sie zu, die Hände in die Taille gestemmt, mit rotem Gesicht und kochend vor Wut. »Das darf einfach nicht wahr sein«, flüsterte sie, drehte sich abrupt um und schaute wieder aus dem Fenster.
    »Du hast recht«, sagte Jupiter niedergeschlagen. »Babio hat nicht gelogen. Vielleicht wollte er uns die Scherbe wirklich abkaufen, um unser Leben zu retten. Hätte ich auf ihn gehört, wäre er jetzt nicht tot.«
    »Nein!« widersprach die Shuvani entschieden. »Diese Leute hätten ihn so oder so umgebracht, spätestens nachdem er ihnen die Scherbe übergeben hätte.«
    »Wir sollten aus Rom verschwinden«, sagte Coralina.
    Jupiter überlegte einen Moment, bevor er zu einer Erwiderung ansetzte. »Ich glaube, wir sind in Sicherheit, solange wir die Scherbe haben. Wir könnten sie zerstören. Was immer es mit diesem Stückchen Ton auf sich hat, es scheint so viel wert zu sein, daß Babios Mörder kein Risiko eingehen werden.«
    »Und was, wenn sie einen von uns entführen?« Coralinas Stimme verriet Hilflosigkeit und Zorn. »Wenn sie drohen, dich zu töten, Jupiter? Glaubst du vielleicht, ich würde ihnen die Scherbe dann nicht geben? Anschließend könnten sie uns immer noch in aller Ruhe umbringen.« Sie holte tief Luft und fuhr nur unmerklich ruhiger fort: »Liebe Güte, wir spekulieren und spekulieren … Es muß doch irgend etwas geben, das wir tun können!« Sie raffte ungeduldig ihr langes Haar im Nacken zusammen und steckte es kurzerhand in den Kragen. »Wir können nicht nur hier rumsitzen und warten, bis irgendwer auftaucht und uns eine Waffe vors Gesicht hält.«
    Jupiter stand auf und wollte auf sie zugehen, noch unschlüssig, ob er einen Arm um sie legen sollte, als die Shuvani plötzlich eine Hand hob.
    »Psttt«, machte sie und legte einen Finger an die Lippen. »Seid mal still.«
    Jupiter und Coralina wechselten einen alarmierten Blick. »Was ist los?«
    »Ruhe!« Die Shuvani horchte, dann

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