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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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hob den Schirm noch ein wenig mehr.
    »Guten Abend«, sagte er, und sein Tonfall ließ die förmlichen Worte beinahe herzlich klingen. »Gestatten Sie mir, einzutreten?«
    »Was wollen Sie?«
    »Mit Ihnen sprechen.«
    »Sind Sie allein?«
    »Das bin ich, in der Tat.«
    Jupiter fand, daß der Mann aussah wie ein englischer Butler in alten Schwarzweißfilmen, ein freundlicher älterer Herr, hochgewachsen, schlank, mit auffallend gerader Haltung. Silbergraues Haar, gestärkter weißer Kragen, ein Seidentuch um den Hals mit einer milchigen Brosche aus Elfenbein. Der Griff des Schirms war aus dem gleichen Material.
    Jupiter trat beiseite und ließ ihn eintreten.
    Der Mann hantierte ein wenig hilflos mit dem tropfenden Schirm.
    »Vielleicht sollte ich ihn draußen stehenlassen. Ich will nicht, daß Ihre Bücher naß werden.«
    Coralina trat hinter dem Regal hervor. »Da vorn neben der Tür steht eine Bodenvase. Stecken Sie ihn einfach rein.«
    Der Mann fand die Vase, nickte Coralina dankbar zu und sagte: »Sehr nett, herzlichen Dank.«
    Jupiter versuchte zu ergründen, ob Coralina ihre Deckung verlassen hatte, weil sie den Mann kannte, oder weil er ihr harmlos erschien. Als ein Blick in ihre Richtung ihn nicht weiterbrachte, wandte er sich wieder an den Fremden: »Sind Sie ein Stammkunde?«
    »Nein, tut mir leid. Ich muß gestehen, daß ich zum ersten Mal hier bin.«
    »Vielleicht waren im Regen die Öffnungszeiten an der Tür nicht deutlich genug zu erkennen.«
    »Oh, seien Sie versichert, daß sie vollständig lesbar waren.« Der Mann deutete in Coralinas Richtung eine Verbeugung an, nickte dann Jupiter zu. »Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle. Mein Name ist Estacado.« Er reichte Jupiter die Hand, die dieser zögernd ergriff.
    »Felipe Estacado.«
    »Kardinal Estacado?« entfuhr es Coralina entgeistert.
    Der Mann schüttelte mit mildem Lächeln den Kopf. »Sein Bruder. Im Gegensatz zu ihm bin ich kein kirchlicher Würdenträger.« Falls er wirklich der Bruder des Kardinals war, mußte er Spanier sein, obwohl er ohne jeden Akzent sprach.
    Jupiter widerstand dem Reflex, einen Schritt zurückzuweichen. Er war jetzt sicher, daß es ein Fehler gewesen war, Estacado hereinzubitten.
    »Kardinal Estacado ist Kardinalsbibliothekar und Archivar der Kurie«, erklärte Coralina in Jupiters Richtung. »Er ist der Leiter der Vaticana.«
    »Mein Bruder tendierte schon als Kind zum Bibliophilen«, sagte Estacado schmunzelnd. »Ein Interesse, das wir teilen. Man könnte sagen, daß ich ihm bei seiner Arbeit assistiere. Die Leitung der Vatikanischen Bibliothek erfordert einen gewissen Zeitaufwand, wie Sie sich denken können. Er hat mich vor einigen Jahren gebeten, zu ihm nach Rom zu kommen, und ich bin seinem Ruf gefolgt.«
    Jupiter musterte den Besucher mit unverhohlenem Mißtrauen.
    »Und heute abend ist Ihnen eingefallen, daß Ihnen ein bestimmtes Buch fehlt, und da dachten Sie, schaue ich doch mal bei diesem bezaubernden kleinen Laden in der Altstadt vorbei.«
    »Nein«, erwiderte Estacado gelassen, »ich bin wegen der Scherbe hier. Und natürlich wegen der Kupferplatte.«
    »Nach dem Mord an Amedeo Babio haben wir, ehrlich gesagt, einen weniger höflichen Besucher erwartet.«
    »Ihr Sarkasmus mag aus Ihrer Sicht durchaus angebracht sein, junger Mann, aber, glauben Sie mir, Ihr Angriff trifft den Falschen.«
    »So?«
    »Ich möchte Ihnen ein Angebot unterbreiten.«
    Coralina starrte ihn verbissen an. »Das ist heute schon das zweite. Passen Sie auf, Ihrem Vorgänger ist es nicht allzugut bekommen.«
    »Ich bin nicht Ihr Feind«, sagte Estacado. Sein Blick streifte über die Bücherregale im Schatten des Ladens. »Ich könnte niemandem, der Bücher liebt, ein Haar krümmen.«
    »Ihr Glück, daß Babio Statuen gesammelt hat.«
    »Ich habe mit der Ermordung Ihres Freundes nichts zu tun. Ich habe geahnt, daß es geschehen würde, aber ich trage keine Schuld daran.«
    »Dann kommt Ihre Warnung ein klein wenig spät.«
    »Ich bin nicht hier, um Sie zu warnen. Ich glaube auch nicht, daß das noch nötig ist, oder? Nein, wie gesagt, ich bin gekommen, um Ihnen etwas anzubieten.«
    »Geld?« Unvermutet erklang die Stimme der Shuvani aus der Dunkelheit. Jupiter fragte sich, wie es der schweren Frau gelungen war, lautlos die Treppe herunterzukommen.
    Estacado versuchte einen Blick auf die alte Zigeunerin zu erhaschen, doch die Shuvani hielt sich hinter Coralina im Dunkeln verborgen.
    »Kein Geld«, antwortete er. »Sicherheit.«
    »Vor

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