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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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nickte sie. »Es hat geklingelt, unten an der Ladentür.«
    »Kommen um diese Zeit noch Kunden?« fragte Jupiter.
    »Kunden kommen nicht mal tagsüber«, bemerkte die Shuvani mit Galgenhumor.
    Coralina schaute zum Treppenhaus. »Glaubt ihr, daß sie das sind?«
    »Ich wüßte nicht, warum sie sich die Mühe machen sollten, die Türklingel zu benutzen.«
    Es schellte erneut. Diesmal hörten sie es alle.
    »Ich sehe nach«, sagte Jupiter.
    »Nein!« Coralina hielt ihn am Oberarm zurück. »Geh nicht!«
    »Was glaubst du, wie lange wir uns hier oben verstecken können, hm?«
    Sie zögerte. »Gut«, entschied sie schließlich, »dann komme ich mit.«
    Jupiter wollte widersprechen, doch er sah an dem funkelnden Glanz in ihren Augen, daß er sie nicht umstimmen konnte. »Okay«, sagte er knapp.
    Die Shuvani folgte ihnen bis zur Treppe. »Seid vorsichtig!« Sie eilte in die Küche, blickte sich suchend um, fand im Abwasch eine schmutzige Pfanne und wog sie prüfend in der Hand wie eine Streitaxt.
    Jupiter und Coralina schlichen die Stufen hinunter. In den beiden Ladenetagen herrschte völlige Stille. In der Dunkelheit zwischen den Regalen hätte sich mühelos ein ganzes Dutzend Gestalten verstecken können, doch die beiden zogen es vor, das Licht ausgeschaltet zu lassen. Sie wollten nicht, daß man von außen erkennen konnte, wohin sie sich bewegten.
    Im Erdgeschoß verstellten weitere Regale die Sicht von der Treppe zur Ladentür. Jupiter und Coralina drückten sich an den langen Reihen der Buchrücken entlang, bis sie schließlich einen vorsichtigen Blick zum Eingang werfen konnten.
    Es hatte zu regnen begonnen, einer jener abrupten Platzregen, wie sie Rom zu allen Jahreszeiten heimsuchen. Meist sind sie schnell vorüber, doch Gnade dem, der im richtigen Moment keinen Schirm zur Hand hat … die Stärke der römischen Regenschauer macht ihre kurze Dauer um ein Vielfaches wett.
    Der Mann vor der Tür hatte seinen Schirm aufgespannt und hielt ihn tief über dem Kopf. Es war ein schlichtes, schwarzes Modell, das einen tiefen Schatten über sein Gesicht und seinen Oberkörper warf. Wassertropfen legten einen verwaschenen Schleier über die Glastür. Im Licht der einzigen Straßenlaterne konnte Jupiter erkennen, daß der Mann keinen Mantel trug, lediglich einen dunklen Anzug.
    »Ist das jemand, den ihr kennt?« flüsterte Jupiter.
    Coralina zuckte die Achseln. »Ich kann sein Gesicht nicht sehen.«
    Jupiter dachte an den mysteriösen Professor und seinen Chauffeur, doch beide kamen nicht in Frage: Der alte Mann saß im Rollstuhl, und sein Gorilla war viel bulliger als die Gestalt vor dem Laden.
    »Sieht so jemand aus, der am hellichten Tag vor dem Pantheon einen Menschen erschießt?« fragte Coralina zweifelnd. »Mit einem Schalldämpfer?«
    Jupiter verzog die Mundwinkel. »Meine Erfahrung mit solchen Leuten beschränkt sich auf die Lektüre von le-Carre-Romanen, tut mir leid.« Doch noch während er sprach, fiel ihm ein, daß das inzwischen nicht mehr stimmte. Er war im Palazzo gewesen, als dieser in Brand gesteckt wurde, und er hatte gesehen, wie ihre Gegner vorgingen: Sie hatten drei Männer in schwarzen Overalls geschickt, um ein Haus niederzubrennen. Man sollte annehmen, daß sie sich mindestens die gleiche Mühe gaben, um drei Menschen zu ermorden.
    Er teilte Coralina seine Gedanken mit, und sie nickte. »Klingt einleuchtend.«
    »Einleuchtend genug, um unser Leben aufs Spiel zu setzen?«
    »Haben wir denn eine andere Wahl?«
    Jupiter richtete sich kurz entschlossen auf. »Du bleibst in Deckung. Ich gehe.«
    Sie zögerte, dann reichte sie ihm den Schlüssel. »Hier«, sagte sie.
    »Und paß bitte auf, ja?«
    Er nickte knapp und machte sich auf den Weg zum Eingang. Sein ganzer Körper schmerzte vor Anspannung. Er hätte hochkonzentriert sein sollen, bereit, bei der geringsten Bewegung des Mannes vor der Tür zur Seite zu springen, doch aus irgendeinem Grund wollte ihm das nicht gelingen. Er war wie hypnotisiert von der Gefahr, und das gab der ganzen Situation eine irreale Note.
    Er trat in den Laternenschein, der von außen durch die Glastür hereinfiel. Der Mann unter dem Schirm mußte ihn jetzt sehen.
    Jupiter schob den Schlüssel ins Schloß und drehte ihn herum.
    Der Mann hob den Rand des Regenschirms und kreuzte Jupiters Blick. Die Regenschleier auf der Scheibe verzerrten seine Züge. Es sah aus, als weine er. Eine Täuschung.
    Jupiter zog die Tür auf. Die Messingglöckchen über dem Eingang klingelten.
    Der Mann

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