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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Jahre, und wieder kam es zu einem Eklat. Das muß 1748 oder 1749 gewesen sein. Zu jener Zeit trug sich Piranesi mit der Absicht, seinen Carceri-Zyklus zu veröffentlichen. Er war damals noch keine dreißig, und der Leichtsinn der Jugend war ihm noch nicht gänzlich ausgetrieben. Tatsächlich beging er den Fehler, die übrigen Adepten schließlich doch noch in sein Geheimnis einzuweihen; es war wohl an der Zeit dazu, muß er gedacht haben, zumal er mit seinen Stichen den Beweis dafür erbracht hatte, daß tatsächlich er es gewesen war, der das Rätsel als erster gelöst hatte.«
    »Wie meinen Sie das?« fragte Jupiter. »Was sollten die Carceri denn beweisen?«
    »Noch ein wenig Geduld«, erwiderte Janus, »Sie werden bald alles verstehen. Piranesi jedenfalls rief eine Versammlung des Bundes ein und informierte die anderen, daß er den Text decodiert hatte und dabei auf etwas Unfaßbares gestoßen war … auf die Lage eines geheimen Ortes, den er bereits besucht und in seinen Stichen verewigt hatte.«
    Coralina starrte ihn aus großen Augen an. »Wollen Sie damit sagen, die Carceri existierten tatsächlich? Als echtes Bauwerk?«
    »So ist es«, sagte Janus.
    »Aber das ist absurd«, entfuhr es Jupiter. »Solch ein Bauwerk müßte gründlich dokumentiert sein, selbst wenn es später zerstört worden ist.«
    »Es wurde nicht zerstört. Die Carceri existieren noch immer, und damit nähern wir uns schon dem Höhepunkt unserer Geschichte.«
    Jupiter wollte auffahren, aber Coralina brachte ihn mit einem Wink zum Schweigen.
    »Vielen Dank«, sagte Janus mit einem Schmunzeln in ihre Richtung. »Hören Sie sich erst die ganze Geschichte an. Danach können Sie Ihr Urteil fällen.«
    Jupiter nickte widerstrebend.
    »Piranesi berichtete den anderen Adepten also, daß er schon Jahre zuvor den eingeritzten Text auf der Schale entziffert und dabei einen Hinweis auf eine verborgene Tür entdeckt hatte … eine Tür zu einem grandiosen unterirdischen Bauwerk. Allerdings weigerte er sich, seinen Freunden die genaue Lage dieses Zugangs mitzuteilen. Sie können sich vorstellen, daß er sich damit nicht allzu beliebt machte. Piranesi hatte nämlich bereits entschieden, den Bund der Adepten zu verlassen und auf eigene Faust weitere Nachforschungen anzustellen. Vermutlich erhoffte er sich davon nicht nur ideellen, sondern auch finanziellen Gewinn. Einmal, so behauptete er, war er schon dort gewesen, und auf seinen Stichen habe er dokumentiert, was er dort entdeckt habe … so, wie er früher bereits die Ruinen Roms in seinen Werken verewigt hatte. Es gelang den Adepten nicht, Piranesi dazu zu bewegen, sein Wissen preiszugeben. Er behauptete, sein Bruchstück der Schale, das für die Entschlüsselung des Textes notwendig sei, nicht mehr zu besitzen, so daß die übrigen Adepten keine Chance hatten, den Text selbst zu decodieren.
    So ließ er sie zurück, fluchend und Drohungen gegen ihn ausstoßend, und bald darauf erschien die erste Auflage seiner Carceri— Stiche. Das Sonderbare ist jedoch, daß es keinerlei Hinweise darauf gibt, daß Piranesi je ein zweites Mal durch die geheime Tür gegangen ist. Nicht nur bewahrte er von nun an völliges Stillschweigen über seine Entdeckung, er verzichtete auch darauf, Profit daraus zu schlagen. Ehrlich gesagt bezweifle ich, daß es allein die Drohungen der anderen Adepten waren, die ihn davon abhielten … nein, Piranesi muß aus irgendwelchen Gründen um sein Leben gefürchtet haben, und ich glaube nicht, daß dazu ein paar vage Beschimpfungen seiner früheren Freunde ausgereicht hätten. Gewiß jedoch waren sie es, die aufgrund ihrer weitreichenden Beziehungen vereitelten, daß er jemals Karriere als Architekt machte.
    Piranesi lebte derweil recht gut von seinen Stichen, und 1760 beschloß er, die Carceri ein zweites Mal zu veröffentlichen, überarbeitet und um drei weitere Blätter ergänzt. Außerdem schuf er jenen siebzehnten Stich, den wir hier vor uns sehen, mit der Rißzeichnung eines Schlüssels, den er auf diese Weise an spätere Generationen weitergeben wollte.«
    »Wollen Sie damit sagen«, fragte Coralina, »daß dies der Schlüssel zu den realen Carceri ist?«
    »Allerdings«, bestätigte Janus. »Die Kupferplatte birgt den Schlüssel … und die Scherbe das letzte Puzzlestück im Lageplan des Eingangs.«
    »Estacado und die anderen brauchen also beides«, sagte Jupiter. »Es ging ihnen die ganze Zeit um den geheimen Zugang.«
    Janus streckte sich zufrieden und ließ seine

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