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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Tür hinter sich schlossen.
    Die Adepten der Schale setzten sich auf die Stühle um den runden Tisch. Trojan positionierte seinen Rollstuhl in eine Lücke zwischen Estacado und Kardinal von Thaden. Weihevoll stellte er das Kästchen vor sich auf den Tisch, schob es dann Estacado hinüber. Von Thaden erhob sich, öffnete den Tresor und holte unendlich vorsichtig einen runden Gegenstand hervor.
    Jupiter konnte selbst aus dieser Höhe erkennen, daß es sich um die minoische Schale handelte. Man hatte die fünf Bruchstücke augenscheinlich zusammengeklebt; lediglich das sechste fehlte noch. Von oben sah es aus wie eine Torte, aus der man ein formloses Stück gebrochen hatte.
    Die Schale hatte eher die Form eines Tellers, so unmerklich war ihre Wölbung. Die braune Lackierung schimmerte im Licht einiger Strahler, die an den Wänden der Halle verankert waren.
    Estacado rückte beiseite, damit von Thaden die Schale auf den Tisch stellen konnte, neben das Holzkästchen des Professors.
    Coralina beugte sich an Janus’ Ohr. »Haben Sie gewußt, daß sie sich um diese Zeit hier versammeln würden?«
    Der Geistliche schüttelte den Kopf. Nein, formten seine Lippen ohne einen Laut.
    Nachdem der Kardinal wieder Platz genommen hatte, ergriff Estacado das Wort.
    »Sie wissen, daß unsere beiden Gäste entkommen sind, und uns allen dürfte klar sein, wer ihnen vermutlich dabei geholfen hat.«
    Einer der älteren Männer, die Jupiter nicht kannte, räusperte sich.
    »Du hättest auf Kardinal von Thaden hören müssen. Wir hätten sie beseitigen sollen, dann hätten wir jetzt nicht dieses leidige Problem.«
    Coralina flüsterte Jupiter ins Ohr: »Das ist der Kardinalsbibliothekar, Estacados Bruder.«
    »Leidiges Problem?« Estacado schmunzelte. »Ja, vielleicht. Trotzdem war es den Versuch wert. Ich bin nach wie vor dagegen, blindwütig Menschen umzubringen. Ihre lächerliche Rache an diesem Maler«, er wandte sich bei diesen Worten an von Thaden und Landini, »war überflüssig und unserer nicht würdig. Er war nur ein verrückter alter Mann, der sich einen Spaß daraus gemacht hat, uns mit seinen Schmierereien zu provozieren. Es war nicht nötig, diese Herausforderung anzunehmen.«
    Jupiter sah, daß Landini zornig die Fäuste ballte, doch der Kardinal hielt ihn mit einer Handbewegung zurück. Ein feines Lächeln, wie mit einer Klinge gezogen, spielte um seine Mundwinkel. »Ihre humanistische Gesinnung in Ehren, Signore Estacado«, sagte er, und seine Stimme troff vor Sarkasmus, »aber Cristoforo war ein Risiko, und die Vermeidung von Risiken sollte in unseren Entscheidungen einen höheren Stellenwert einnehmen, als Sie möglicherweise wahrhaben wollen.«
    »Stellen Sie mich in Frage, von Thaden?« Es entging Jupiter nicht, wie respektlos Estacado sich gegenüber einem der höchsten Würdenträger der katholischen Kirche verhielt. »Sie alle haben mich zum Vorsitzenden dieser Runde gewählt.«
    »Noch ein Risiko, das sich hätte vermeiden lassen«, sagte Landini leise, doch die Akustik der Halle trug seine Worte bis hinauf zum Luftschacht.
    Estacado zog es vor, dem Einwurf des Sekretärs keine Beachtung zu schenken, auch wenn ein Raunen durch den Kreis der Adepten ging. Manche schienen Landinis Worten zuzustimmen.
    Von Thaden beugte sich leicht vor. »Muß ich daran erinnern, daß Ihr kleines Experiment heute nacht nicht der erste Fehlschlag war, den Sie sich geleistet haben?«
    Jupiter und Coralina sahen, daß Janus verhalten lächelte. Obwohl von Thaden und die anderen ihre Gegner waren, mußte Jupiter sich eingestehen, daß er ihren Standpunkt nachvollziehen konnte … Estacado war ein unnötiges Risiko eingegangen, indem er ihn und Coralina am Leben gelassen hatte, ganz zu schweigen von Janus’ Einweihung in die Mysterien der Adepten.
    Unten in der Halle nahm eine heftige Diskussion ihren Anfang, in deren Verlauf mehrere Adepten Estacados Handeln kritisierten, andere aber für ihn Partei ergriffen. Auffallend ruhig verhielt sich nur Professor Trojan. Er sagte während der ganzen Zeit kein Wort, nahm nur einmal kurz seinen Hut ab, drehte ihn nachdenklich in den Händen und setzte ihn schließlich wieder auf.
    Dann aber, nach einer Viertelstunde heftiger Vorwürfe und Gegenattacken, stieß der Professor ein heftiges Husten aus, das alle anderen zum Schweigen brachte.
    »Vielen Dank«, sagte er so ruhig, als fürchtete er, jedes laute Wort könne ihm die Stimme rauben. »Ich denke, wir sollten nun zum vordringlichsten Grund

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