Das Haus des Daedalus
in ihrem Blick sah, schwieg er und blickte grübelnd zu Boden. Schließlich wandte er sich an Cassinelli, der immer noch abwartend am Kellerausgang stand. »Was hältst du davon?«
Der Gärtner hob seine bulligen Schultern. »Sollen Sie’s probieren.«
Janus, der sich offenbar Unterstützung erhofft hatte, bedachte Cassinelli mit einem grimmigen Blick, fragte aber dann: »Hast du Seile, die lang genug sind?« Bevor der Gärtner antworten konnte, wandte Janus sich wieder an Jupiter. »Wie wollen Sie das Ende der Seile überhaupt auf die andere Seite bekommen?«
Jetzt, da sie einmal den Entschluß gefaßt hatten, verspürte Jupiter neuen Mut. Es war an der Zeit, aktiv zu werden, ganz gleich, wie die Sache enden würde. Er fühlte sich gelöst und aufgekratzt wie nach zuviel Koffein. »Ich dachte an Wurfanker«, sagte er.
»Wurfanker!« Janus verdrehte die Augen. »Was glauben Sie, wo wir hier sind, um Himmels willen?«
Bevor Jupiter etwas erwidern konnte, hörten sie Cassinelli zwischen Kisten und Säcken im vorderen Teil des Kellers rumoren. Einen Augenblick später zog er einen rostigen Wurfanker hervor.
»So einen?« fragte er mürrisch.
Coralina grinste. »Exakt.«
»Wo, zum Teufel, hast du den her?« schnauzte Janus den Gärtner an.
Cassinelli trat nervös von einem Fuß auf den anderen, so als hätte man ihn bei etwas Verbotenem ertappt. »Hat irgendwer über die Außenmauer geworfen. Mit ‘nem Strick dran. Kommt hin und wieder vor. Rüb ergeklettert ist noch keiner, die Wächter fangen sie ab. Aber ihr Zeug lassen sie liegen, und irgendwer muß es wegräumen. Machen dann meine Leute oder manchmal ich selbst.« Er schwenkte den Anker vor und zurück. »Ist ‘n paar Jahre her. Hing drüben an der Westmauer, gleich beim Hubschrauberlandeplatz. Kein Mensch da, nur das Ding hier lag rum.« Er deutete auf eine Kiste. »Ich hab noch mehr davon, manche dreißig, vierzig Jahre alt.«
Jupiter trat auf den Gärtner zu und klopfte ihm auf die Schulter.
»Das haben Sie sehr gut gemacht.«
Ein Lächeln hellte das großporige Gesicht des Mannes auf. »Seile sind auch mehr als genug da.« Er schaute an Jupiter vorbei zu Coralina. »Sie sind ziemlich mutig, Signorina.«
Sie trat auf ihn zu und umarmte ihn fest. »Vielen Dank, Signore Cassinelli.«
»Aldo«, sagte er.
»Aldo … ich bin Coralina. Und das ist Jupiter.«
Cassinelli überlegte. »Komischer Name, Jupiter. Wie der …«
»Der oberste der alten Götter«, ergänzte Jupiter und erinnerte sich blitzartig an die seltsamen Worte Babios: Der oberste der alten Götter bringt den Fall des neuen.
Janus trat zu ihnen und warf einen mißbilligenden Blick auf den Wurfanker. Er hatte vier stählerne Spitzen mit Widerhaken.
»Ich kann’s nur noch mal sagen … Sie sind vollkommen wahnsinnig.«
Coralina achtete nicht auf ihn. »Können Sie uns zum Reservoir begleiten?« fragte sie Cassinelli.
Der Gärtner schrak zusammen. »Ich … ich …«
»Aldo geht nie dort hinunter«, erklärte Janus.
»Ich mag die Dunkelheit nicht«, sagte der riesige Mann kleinlaut.
»Ich bin gern im Freien. Im Garten. Ich mag Pflanzen und den Himmel. Dinge, die grün sind. Und blühen. Ich geh nicht da runter.«
Ganz kurz erwog Jupiter, Cassinelli zu überreden. Doch ein Blick in Coralinas Augen sagte ihm, daß sie das gleiche dachte wie er: Sie hatten schon genug Menschen in die Sache hineingezogen, mit tödlichen Konsequenzen für Babio und Cristoforo. Er wollte nicht, daß Cassinelli der nächste war.
»Okay«, sagte Jupiter. »Was ist mit Ihnen, Janus? Jemand muß uns zum Reservoir führen.«
»Natürlich!« Der Geistliche klang fast ein wenig empört darüber, daß Jupiter angenommen hatte, er würde ihn und Coralina allein gehen lassen.
Cassinelli suchte einen festen Strick heraus, dick genug, um einen Menschen zu tragen. Janus verlangte zwei weitere, die Jupiter und Coralina sich um die Oberkörper knoten sollten, damit er sie zur Not aus dem Wasser ziehen konnte. »Obwohl ich Ihnen keine große Hoffnung machen will«, setzte er hinzu. »Der Sog ist wahrscheinlich viel zu stark.«
Zum Abschied umarmte Coralina Cassinelli. Hatte er sich bei der ersten Berührung noch verkrampft, so klopfte er ihr nun aufmunternd auf den Rücken. »Sie schaffen das schon«, sagte er. Sein Grinsen war so breit wie das eines Gorillas. Er reichte auch Jupiter die Hand und schüttelte sie ausgiebig. »Ich wünsche Ihnen viel Glück. Gott möge Ihnen beistehen.«
Wieder glitten sie durch
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