Das Haus des Daedalus
in einer der Wände, so daß sie von hoch oben in die Tiefe schauten. Bis zum Boden mochten es zwanzig Meter sein, schätzte Jupiter und drückte sein Gesicht gegen die Eisenstäbe. Auch Janus und Coralina traten näher ans Gitter, um den ganzen Raum überschauen zu können.
Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein gewaltiges Tor. Es reichte bis zur Decke und nahm fast die gesamte Breite der Halle ein. Zu beiden Seiten wurde es von mächtigen Säulen flankiert, die Torflügel selbst waren schmucklos und roh behauen. Jupiter sah auf Anhieb die bauliche Ähnlichkeit zu Piranesis Kerkerstichen, den etruskischen Einfluß.
Das Tor war geschlossen. An mehreren Stellen der Steinflügel waren Sensoren angebracht, von denen aus lange Kabelstränge zu einer halbkreisförmigen Anordnung von Schaltpulten führten. Dahinter saßen zwei Männer in hellen Overalls, spielten Karten und warfen gelegentlich einen Blick auf die Anzeigen und Diagramme auf den Armaturen.
»Das Daedalusportal«, flüsterte Janus so leise, daß es schwerfiel, ihn zu verstehen.
Coralina sah ihn ungläubig an. »Ist das …« »Das Tor zur Hölle, wenn wir den alten Theologen Glauben schenken wollen«, erwiderte Janus. »In erster Linie aber ist es vermutlich der Haupteingang der Carceri.«
»Was ist dahinter?« wollte Jupiter wissen.
Janus hob die Schultern. »Es wurde nie geöffnet.«
»Aber …«
»Still!« Janus fiel ihm scharf ins Wort. Einer der Männer hinter den Schaltpulten hatte seine Spielkarten gesenkt und horchte angespannt.
»Hast du das auch gehört?« fragte er seinen Kollegen.
Der zweite Mann lauschte, schüttelte dann den Kopf. »Nichts. Vielleicht Ratten im Luftschacht.«
»Klang aber wie Stimmen.«
Janus drängte Jupiter und Coralina hastig zurück, als sich der erste Mann erhob, um zum Tor hinüberzugehen und von dort aus einen Blick hinauf zum Gitter zu werfen. Nach einer Weile hörten sie, wie er zum Schaltpult zurückkehrte. Alle drei hatten Schweiß auf der Stirn, als sie sich erneut vorsichtig dem Gitter näherten und zu ihrer Erleichterung feststellten, daß die Männer ihr Spiel wieder aufgenommen hatten.
Janus warf den beiden einen mahnenden Blick zu. Das war knapp, sagten seine Augen. Jupiter brannten ein Dutzend Fragen auf der Zunge, aber er beherrschte sich. Seine Finger tasteten nach Coralinas Hand und umschlossen sie. Unmerklich rückte sie näher an ihn heran.
Jupiter betrachtete das Tor genauer. Es gab keinen sichtbaren Mechanismus, um es zu öffnen, keine Seilzüge oder Ketten oder Zahnräder. Er entdeckte auch keine Spuren von Gewalteinwirkung. Keine Löcher, die in den Stein gestemmt worden waren, keine Hinweise auf Sprengungen.
Seitlich der Überwachungskonsolen befand sich ein großer runder Tisch mit elf Stühlen. Dahinter an der Wand stand ein kastenförmiger Schrank. Erst als Jupiter genauer hinsah, erkannte er, daß es sich um einen Tresor handelte, ein altmodisches Modell mit einem tellergroßen Strebenrad.
»Sie haben genug gesehen«, raunte Janus nahezu lautlos und wollte sich abwenden, als von unten aus der Halle Geräusche heraufdrangen, Schritte von mehreren Personen und gedämpfte Stimmen.
Jupiter und Coralina rührten sich nicht von der Stelle. Auch Janus drückte sich wieder näher ans Gitter, um einen Blick auf die Neuankömmlinge zu werfen.
Durch einen Eingang, der sich genau unterhalb des Lüftungsgitters und damit außerhalb ihres Sichtfeldes befand, betraten mehrere Männer die Halle. Einer war Estacado, ein anderer Kardinal von Thaden, gefolgt von seinem weißhäutigen Sekretär Landini. Nach ihnen traten einige Männer ein, die Jupiter nie zuvor gesehen hatte. Keiner von ihnen war unter sechzig, und Jupiter vermutete, daß es sich um hohe Geistliche des Vatikans handelte. Einige wirkten müde, ihr Haar war notdürftig zurückgekämmt. Einer trug Pantoffeln an den Füßen. Die Männer waren augenscheinlich aus dem Schlaf gerissen worden. Irgend etwas Wichtiges mußte geschehen sein. Jupiter nahm an, daß ihre Flucht und das Verschwinden der Kupferplatte Gründe der nächtlichen Versammlung waren. Er schaute auf seine Armbanduhr: kurz nach halb vier Zuletzt wurde Professor Domovoi Trojan von einem hünenhaften Blonden hereingeschoben. Auf Trojans Schoß lag ein hölzernes Kästchen, das er mit beiden Händen festhielt.
Estacado gab den beiden Männern an den Schaltpulten und Trojans Chauffeur einen Wink. Die drei verließen wortlos die Halle. Jupiter hörte, wie sie eine
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