Das Haus des Windes
des Rundhauses, sagte er.
Das alte Rundhaus? Ist es da passiert?
Er antwortete nicht.
Was mit Mom passiert ist, war das da?
Wieder keine Antwort.
Er schob die Papiere beiseite und stand auf. Das Licht fiel auf die Falten in seinem Gesicht und vertiefte sie zu Scharten. Er sah aus, als wäre er tausend Jahre alt.
KAPITEL VIER
DER STUMME VERMITTLER
Cappy war dürr, mit großen Händen und vernarbten, knubbeligen Knien, aber er hatte kräftige Wangenknochen, eine gerade Nase, große weiße Zähne und strähniges, glänzendes Haar, das ihm immer vor einem seiner großen braunen Hundeaugen hing. Die Mädchen standen auf ihn, obwohl sein Kinn und seine Wangen immer voller Kratzer waren und in einer seiner Augenbrauen eine Lücke klaffte, wo ihm ein Stein die Stirn aufgerissen hatte. Er fuhr ein rostzerfressenes Zehngangrad, das Doe von der Missionsstation mitgebracht hatte. Weil in ihrem Haus überall Werkzeug herumflog, hielt er es halbwegs instand. Trotzdem funktionierte nur der erste Gang. Und die Bremsen fielen manchmal aus. Wenn Cappy Fahrrad fuhr, zischte also ein spindeldürrer Junge an einem vorbei, der so schnell trat, dass seine Beine verschwammen, und zum Bremsen die Füße auf der Erde schleifen ließ oder sich, wenn auch das nicht funktionierte, todesmutig vom Rad schwang. Angus hatte ein verbeultes quietschrosa BMX-Rad, das er umlackieren wollte, bis ihm klar wurde, dass die Farbe der denkbar beste Diebstahlschutz war. Zacks Fahrrad war neu und schwarz; sein Vater hatte es ihm gekauft, nachdem er sich zwei Jahre lang nicht hatte blicken lassen. Weil wir offiziell nicht Auto fahren durften (was wir natürlich trotzdem so oft wie möglich taten), gaben die Fahrräder uns Freiheit. Wir waren nicht auf Elwin oder auf Whiteys Pferde angewiesen, auf denen wir natürlich auch so oft wie möglich ritten. Wir mussten nicht erst Doe oder Zacks Mom bitten, uns zu fahren, was besonders am ersten Ferientaggünstig war, denn die hätten uns nie da hingefahren, wo wir wollten.
Zack hatte bei seinem Stiefvater den quakenden Polizeifunk abgehört (das tat er dauernd) und den Tatort bestätigt. Es war das Rundhaus. Ein einspuriger Waldweg führte zu dem hölzernen alten Gebäude auf der anderen Seite des Sees. An dem Morgen stand ich früh auf und zog mich leise an. Ich schlich die Treppe runter und ließ Pearl vor die Tür. Wir pinkelten gemeinsam hinten in die Büsche. Ich wollte nicht drinnen die laute Spülung ziehen. Auf dem Weg zurück ins Haus öffnete ich die Fliegengittertür nur ein kleines Stück, damit sie nicht quietschte, und hielt sie fest, statt sie zuknallen zu lassen. Pearl kam auch mit rein und beobachtete mich, wie ich eine Papiertüte mit Erdnussbutter-Sandwiches füllte. Ich packte sie zusammen mit einem Glas von Moms eingelegten Dillgurken und einer Wasserflasche in meinen Rucksack. Ich hatte Dad versprochen, immer aufzuschreiben, wo ich war – den ganzen Sommer lang, das hatte ich ihm schwören müssen. Ich kritzelte das Wort See auf den Notizblock, den er mir auf den Tresen gelegt hatte. Dann riss ich ein halbes Blatt ab, schrieb noch eine Nachricht und steckte mir den Fetzen in die Hosentasche. Ich legte Pearl eine Hand auf den Kopf und sah ihr in die hellen Augen.
Beschütz meine Mom, sagte ich.
Mit Cappy, Zack und Angus war ich für zwei Stunden später an einem Baumstumpf verabredet, wo wir uns öfter trafen – neben dem Highway, gleich hinter dem Straßengraben. Da hinterließ ich die andere Nachricht, auf der stand, dass ich schon vorgefahren war. Das hatte ich so geplant, weil ich erst mal allein sein wollte, wenn ich zum Rundhaus kam.
Es war ein luftiger Junimorgen. Auf den Wildrosen und dem Salbei in den Stoppelfeldern lag noch kühler Tau, aber ich spürte schon, dass der Nachmittag heiß werden würde. Heiß und wolkenlos. Bestes Zeckenwetter. So früh morgens war fast niemand unterwegs. Nur zwei Autos zogen auf dem Highway an mir vorbei.Ich bog in die Mashkeeg Road ein, eine kiesbedeckte, von Bäumen gesäumte Straße, die ein Stück um den See herum führte. Am See standen Häuser, von Buschwerk sichtgeschützt. Hier und da tauchte ein Hund auf, aber ich radelte so schnell durch ihre Reviere, dass nur wenige bellten und keiner mir folgte. Selbst eine Zecke, die vom Baum herab durch die Luft kreiselte, fand kaum Halt an meinem Arm. Ich schnipste sie weg und fuhr noch schneller, bis ich an die schmale Straße kam, die zum Rundhaus führte. Sie war immer noch mit
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