Das Haus im Moor
Schaf.
3
Obwohl es schon Ende Oktober war, lebte Constance immer noch in dem Haus auf dem Hügel. Die Tage waren viel kürzer und die Nächte lang geworden, aber sie hatte die Zeit zu nutzen gewußt und noch keine Gelegenheit gehabt, sich einsam zu fühlen.
Am wohlsten fühlte sie sich in den frühen Abendstunden, wenn die Lampen angezündet waren und das Feuer knisterte und sie auf dem Sofa ihren Tee trank. An Wochentagen las sie viel, und am Wochenende leistete ihr Peter Gesellschaft.
Selten verging ein Tag, an dem sich nicht der ein oder andere O’Connor einstellte, selbst wenn sie kurz vorher unten gewesen war, um zu fragen, ob sie etwas aus Newcastle mitbringen konnte, oder um ihrerseits Vin zu bitten, ihr etwas aus der Stadt zu besorgen. Tat er das, brachte er es immer selbst den Hügel hinauf. Zweimal war er dabei auf Jim getroffen und bald wieder gegangen. Wenn sie allein war, blieb er etwas länger, niemals aber so lange, daß jemand kam, um ihn zu holen.
An diesem Abend saß Constance auf dem Sofa, hatte die Beine hochgelegt und ein Buch in der Hand. Aber sie las nicht, sondern dachte an Jim. Vor fünf Tagen hatte sie ihn zuletzt gesehen, und sie hatten die ganze Zeit miteinander gestritten. Der Makler hatte ihr erzählt, daß ihr Mann zu einigen potentiellen Käufern, denen er die Wohnung gezeigt hatte, ausfallend geworden sei, und hatte sie gefragt, ob sie es einrichten könnte, das nächste Mal selbst dort zu sein. Also hatte sie es eingerichtet. Und als die Leute gegangen waren, nachdem sie versichert hatten, die Wohnung zu kaufen, hatte Jim seinen Zorn nicht mehr kontrollieren können.
Vorher hatte Constance manchmal ein schlechtes Gewissen gehabt, weil sie so lange in dem Haus blieb und ihn sich selbst überließ, aber nach dieser letzten Szene hatte sie sich geschworen, keine Schuldgefühle mehr zu haben. Er hatte ein Zimmer in Shekinah. Wenn man es genau nahm, waren es sogar drei. Es war seine Sache, ob er davon Gebrauch machte.
In Felling hatte Constance einen neuen Bungalow gesehen, der ihr gefiel, und sie hatte Jim gefragt, ob er ihn sich mit ihr ansehen wollte, aber er hatte sich geweigert. Nun, er würde bald eine Entscheidung treffen müssen, und sie hoffte inständig, daß er den Bungalow dem Haus vorziehen würde.
Die Nacht war ruhig, aber Constance war so in Gedanken, daß sie nicht hörte, wie jemand über die Terrasse kam. Als sich plötzlich die Tür öffnete, wandte sie sich um und war sehr überrascht, Peter zu sehen.
Sie lief zu ihm und fragte: »Was ist los? Ich habe dich gar nicht erwartet. Heute ist doch erst Donnerstag.« Sie unterbrach sich, als sie sein gequältes Gesicht sah. Jim! Peter hatte bestimmt wieder mit seinem Vater gestritten. Sie seufzte und fragte: »Hast du schon Tee getrunken?«
»Nein, und ich will auch keinen, jedenfalls nicht jetzt.«
»Komm, gib mir deinen Mantel und geh zum Feuer.«
Peter setzte sich auf das Sofa, und Constance nahm seine Hand und bat ihn: »Na los, erzähl’s mir.«
Er ließ sich zurückfallen, biß sich auf die Lippen und wandte sich ab.
»Was ist denn los? Erzähl mir doch, was passiert ist.«
»Ada.«
»Ada?«
»Ja. Ich bring sie um. Ich … ich …«
»Was hat sie getan?«
»Sie hat’s Kathy erzählt.«
»Was hat sie Kathy erzählt?«
»Oh, um Gottes willen! Mutter! Sei doch nicht so schwer von Begriff. Was glaubst du wohl?«
»Du meinst … das kann sie doch nicht tun!«
»Sie kann, und sie hat’s getan.«
»Wo? Wann?«
»Heute, in einem Café.« Peter bedeckte sein Gesicht mit den Händen. »Wir … wir waren im Museum und so.« Es war das erste Mal, daß er Constance etwas von seinen Verabredungen mit Kathy erzählte. »Es war um die Mittagszeit. Kathy hatte einen halben Tag frei. Wir wollten noch ins Theater gehen. Also, wir saßen da, und auf einmal sagte sie: ›Da steht ein Mädchen an der Theke, daß dich die ganze Zeit anstarrt. Kennst du es?‹ Ich sah hin, und es war Ada. Na ja, du weißt, daß ich … daß ich schnell rot werde. Also, ich merkte, daß ich so rot wie eine Tomate wurde, und da kam Ada schon an unseren Tisch und sagte« – er biß sich auf die Lippen – »sie sagte: ›Hallo, Cousin. Lange nicht gesehen.‹ Ich gab keine Antwort, und sie beugte sich zu Kathy. ›Du mußt dich vor ihm in Acht nehmen‹, flüsterte sie, ›der geht ganz schön ran, der macht dich fertig. Ich muß es schließlich wissen. Ich‹ – Peter konnte kaum weitersprechen – › ich hab den ganzen Bauch voll
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