Das Haus im Moor
begann: »Ich bin nur vorbeigekommen, um zu sehen, ob Sie den Abend gut überstanden haben.«
»Oh, ja, ja.« Sie versuchte zu lächeln und fügte hinzu: »Wir … wir hatten einen schönen Abend. Mein Sohn ist heute früh schon in die Stadt gefahren, und mein Mann gerade eben. Sie haben ihn knapp verpaßt.« Constance sprach leise und hastig, und als sie fertig war, blinzelte sie einige Male. Dann sah sie über die Schulter zum Fenster hinaus. »Ein schöner Morgen. Heute früh war’s etwas neblig. Ich nehme an, das war ein Hinweis darauf, daß es bald Herbst wird.«
»Ja, es wird nicht mehr lange dauern. Für mich ist das hier oben die schönste Jahreszeit. Noch schöner als der Frühling.« Er ging an ihr vorbei zum Fenster, sah ebenfalls hinaus und fuhr fort: »Wenn Sie einmal im Herbst über diese Hügel schauen, werden sie Sie für immer gefangen nehmen.« Er wandte sich ihr zu, lächelte leicht und sagte: »Also sollten Sie am besten hinaussehen.«
Constance wandte sich ab und ging zum Kamin. »Ungefähr in einer Woche werde ich wahrscheinlich in die Stadt fahren. Ich … ich suche nach einer Wohnung.«
»Wollen Sie umziehen?«
»Ja. Unsere ist viel zu groß.«
Vincent fragte auf seine brüske Art: »Haben Sie Angst, hier oben allein zu sein?«
Sie sah ihn an und schwieg für einen Augenblick, weil sie einfach nicht wußte, ob sie Angst hatte, im Winter hier allein zu sein oder nicht. Doch bevor sie antworten konnte, kam schon die nächste Frage: »Oder ist es wegen dem, was ich Ihnen neulich erzählt habe?«
»O nein! Nein!« Ihre Antwort kam schnell.
»Aber es hat Sie schockiert?«
Sie wandte sich ab und antwortete nach einer Weile: »Ja, neulich schon.«
»Deshalb … deshalb bin ich eigentlich gekommen. Das ist kein Höflichkeitsbesuch, ich wollte Ihnen alles erklären.«
»Das ist nicht …«
Er unterbrach sie: »Sagen Sie nicht, daß es nicht notwendig ist. Man kann nicht einfach erzählen, man habe jemanden umgebracht, und es dabei belassen. Ich muß Ihnen die Gründe erklären. Übrigens, haben Sie mit Ihrem Mann darüber gesprochen?«
»O nein!« Constance schüttelte heftig den Kopf.
»Gar nicht?«
»Nein. Gar nicht.«
»Auch nichts von Hannah erzählt?«
»Natürlich nicht.«
»Aber Ihr … Peter weiß es. Hat er nichts gesagt?«
»Nein, nein. Peter würde nichts sagen.«
Vincent zog die Augenbrauen hoch und fragte dann: »Können wir uns für einen Moment setzen?«
»Natürlich. Aber glauben Sie mir, Sie müssen mir nichts erklären. Wenn es Sie quält …«
»Es wird mich noch mehr quälen, wenn ich es Ihnen nicht erzähle.«
»Also gut.«
Constance setzte sich steif auf den Rand des Sofas, und Vincent nahm den Stuhl gegenüber. Er schaute eine Weile schweigend in den Kamin, bevor er sagte: »Das hier ist zu jeder Jahreszeit ein schöner Raum, aber wenn ein Feuer im Kamin brennt, ist er am allerschönsten.« Er sah Constance an und bemerkte ihren Gesichtsausdruck. »Ich weiche nicht aus. Ich fange nur von vorn an. Wissen Sie, alles hat damit begonnen, daß ich mir vorstellte, in einer Winternacht in diesem Raum mit meiner Frau zu sitzen.«
Vincent schwieg erneut und fuhr nach einer Weile fort: »Ich bin einer vom alten Schlag, und obwohl meine Eltern beide aus Irland stammen, glaube ich, daß diese Hügel und die Moorlandschaft meinen Charakter geprägt haben. Wie den anderen Leuten in der Gegend fällt es auch mir nicht leicht, Freundschaften zu schließen oder gar mich zu verlieben.« Er stützte den Kopf in seine Hände. »Ich hatte in der Schule ein Mädchen kennengelernt, und es war klar, daß wir eines Tages heiraten würden. Ich wußte, daß es sonst niemanden für mich geben würde, und ich dachte, daß es auch für sie niemanden sonst gab, aber eins habe ich gelernt: Man kann nicht wissen, was im Kopf des anderen vorgeht, so nah man ihm auch sein mag. Wie auch immer, als ich fünfundzwanzig war, sah es so aus, als müßten wir noch eine ganze Weile warten. Ich arbeitete in Hexham als Schreiner und versuchte gleichzeitig, unten eine kleine Farm zu bekommen. Mein Vater, das haben Sie vielleicht schon bemerkt, ist ein gutherziger, aber schwacher Mann. Bei all meiner Arbeit hatte ich nicht viel Freizeit. Aber viel schlimmer war, daß ich außerdem wenig Geld hatte. Sehen Sie, meine Familie verließ sich irgendwie auf mich, und ich konnte nichts sparen, bis sich eine Möglichkeit ergab, schnell an Geld zu kommen. Ich hörte, daß Matrosen auf Öltankern Geld wie Heu
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