Das Haus im Moor
Hannah.
»Nein, nein, er mußte arbeiten.«
Hannah und Florence wechselten einen Blick. Da entdeckte Hannah Vincent neben der Tür, der ihr mit den Augen ein Zeichen gab, und sie wechselte das Thema.
»Wirst du die Kinder sehr vermissen?«
»Ja, ich denke schon.«
»Ach, wenn du erstmal in einem richtigen Krankenhaus arbeitest, wirst du gar keine Zeit mehr haben, an etwas anderes zu denken. Außerdem werdet ihr in Uniform einfach großartig aussehen. Du mußt sofort ein Foto machen lassen.«
Sie sprachen über das Krankenhaus, bis es dunkel wurde. Dann trat Vincent in die Küche und sagte zu seiner Schwester: »Solltest du nicht lieber hinaufgehen? Du mußt schon bald wieder zurück.«
Kathy sah ihn an und antwortete: »In Ordnung.«
Es war fünf Uhr, als Kathy zu dem Haus hinaufging. Um sechs war sie noch nicht wieder zurück. Vincent stieg langsam den Hügel hinauf und wartete bei der Quelle auf seine Schwester. Etwa zwanzig Minuten später hörte er leise Stimmen, und kurz darauf Kathys schnelle Schritte auf den Steinen. Als sie von der Terrasse herunterkam, schwenkte er seine Fackel, damit sie wußte, daß er da war, und sie rief:
»Vin?«
»Ja.«
»Es tut mir Leid, daß es so lange gedauert hat.«
»Das macht nichts.« Seine Stimme klang gelassen.
»Es macht deinen ganzen Abend kaputt, wenn du mich jetzt noch zurückfahren mußt.«
»Kein Problem.«
Er nahm ihre Hand, und während sie den Hügel hinuntergingen, fragte er: »Und?« Kathy blieb stehen und antwortete zögernd: »Es ging um Peter.«
»Das habe ich mir gedacht. Aber was ist denn mit ihm? Habt ihr euch gestritten?«
»Nein, nicht wirklich.«
»Was dann?«
»Oh, das kann ich nicht erklären, Vin.«
»Warum nicht?« So etwas hatte sie noch nie zu ihm gesagt, und es sollte auch eigentlich nichts geben, was sie ihm nicht erklären konnte. Sie standen sich sehr nahe, vielleicht weil er sie in den ersten drei Monaten ihres Lebens so oft herumgetragen hatte. Sie hatte bei ihrer Geburt schon geweint, und danach hatte er Florence und Hannah jede Nacht abgelöst, um ihnen eine Pause zu gönnen.
Kathy war das zweite Mädchen, das Hannah geboren hatte, nachdem sie zehn Jahre lang weg gewesen war. Das andere war einen Monat nach der Geburt gestorben. Jede Tochter von Hannah hatte in den ersten drei Monaten geweint, nur die Jungen waren friedlich und glücklich gewesen. Vincent fragte wieder: »Warum kannst du es mir nicht sagen?«
»Weil … es könnte … na ja, es könnte dich aufregen.«
Er zögerte: »Hat er etwa … ist er …?«
»Nein, nein!«
»Was denn dann?« Seine Stimme klang jetzt streng. »Es muß etwas Ungewöhnliches sein, wenn sie darüber mit dir sprechen wollte. Was hat er getan?«
»Er hat nichts getan. Also, wenigstens … oh, er hat nichts getan, nichts, ich sag’s dir doch.«
»Raus damit!«
»Aber du wirst empört sein, Vin, glaub mir.«
»Also, das werde ich selbst beurteilen. Nun fang schon an.«
Also erzählte sie es ihm. Als sie fertig war, sagte er: »Was hatte sie dazu zu sagen?«
»Sie sagte, daß er Ada verabscheut, daß es noch nie anders war, aber daß sie es immer schon auf ihn abgesehen hatte. Sie war vorher schon zweimal schwanger. Constance sagt, daß sie schlecht ist. Ich … ich habe gesagt, daß die Leute nicht automatisch schlecht sind, nur weil sie Kinder bekommen. Ich habe gesagt, daß Hannah zehn Kinder geboren hat.«
»Das ist etwas anderes.«
»Das hat sie auch gesagt. Aber warum?«
»Hannah würde nicht in ein Café gehen und tun, was die da getan hat. Das klingt rachsüchtig.«
»Ja, sie war … schrecklich, schmutzig. Sie sah nicht schmutzig aus, aber sie sprach so.«
»Aber du glaubst, daß er mit ihr zusammen war?«
»Ja. Nein. Na ja, er hat die Flucht ergriffen. Er … er sah aus, als ob er Angst hätte.«
»Er hatte allen Grund dazu, denke ich. Wie dem auch sei, du hast ihn also fallen lassen?«
»Nein, er hat mich fallen lassen. Ich bin noch am selben Abend hingegangen, aber er war nicht da. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
»Magst du ihn?«
»Ja, ich glaube schon.«
»Würde es dich stören, wenn es wahr wäre?«
»Nein, im Grunde nicht. Für Männer ist das etwas anderes als für uns Frauen. Sieh dir Dad an. Er liebt Hannah nicht, aber wir alle sind ihre Kinder. Das paßt doch nicht zusammen, oder?«
»Nein, das paßt nicht zusammen.«
Sie schwiegen für eine Weile und setzten ihren Weg fort. Vincent fragte: »Was hat dich so lange
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