Das Haus in den Dünen
hier«, sagte Trevisan, als Anne den Wagen aus der Stadt lenkte. »Wir konnten uns noch gar nicht richtig miteinander unterhalten. Gefällt es dir überhaupt bei uns?«
»Ich habe es mir ein wenig anders vorgestellt«, antwortete sie schüchtern.
»So, und wie?«
»Ich weiß es nicht, aber auf der Polizeischule wirkt alles etwas steifer. Ich meine, untereinander. Es gibt den Leiter und die Mitarbeiter.«
»Ich weiß schon, was du meinst«, antwortete Trevisan. »Aber draußen auf der Straße läuft alles etwas anders. Wir sind ein Team. Gleichberechtigt, meist. Jeder hat Stärken, jeder hat Schwächen. Und wenn untereinander alles stimmt, dann hat ein Fachbereichsleiter nur wenige Probleme. Er muss sich einfach auf seine Leute verlassen können, und er muss wissen, wo ihre Stärken und wo ihre Schwächen liegen.«
»Ich verstehe.«
»So ist es nun einmal«, resümierte Trevisan. »Die Theorie und die Praxis liegen in unserem Beruf nun einmal beinahe so weit auseinander, wie die Erde von der Sonne entfernt ist. Sie werden sich nie berühren, aber trotzdem sind beide nie außer Sichtweite und aufeinander angewiesen.«
Sie unterhielten sich, bis sie Oldenburg hinter sich gelassen hatten, dann überkam Trevisan die Müdigkeit. Er kurbelte den Sitz ein wenig zurück und schloss die Augen. Erst als sie kurz vor Hannover die Autobahn verließen und auf die B 3 einbogen, wachte Trevisan wieder auf.
Das LKA lag am Welfenplatz nahe dem Stadtzentrum. Sie wiesen sich an der Einfahrt aus. Auf dem Besucherparkplatz waren noch zwei Stellplätze frei.
Birger Giesmann war ein alter Bekannter Trevisans, der sich nach seiner Ausbildung zum Landeskriminalamt beworben hatte und dort seit Jahren in der Fachgruppe 52.2 tätig war. Die Abteilung 5, die wissenschaftliche und kriminaltechnische Abteilung, die sich vorwiegend mit Werkzeugspuren befasste, war ein wichtiger Teilbereich der Spurenauswertung. Giesmanns Büro war im dritten Stock des Nebengebäudes untergebracht. Der Aufzug steckte irgendwo in den oberen Stockwerken fest, deswegen benutzten sie die Treppe. Die langen und nüchternen Flure, erhellt durch kaltes Neonlicht, erinnerten Trevisan an einen Stollen in einem Berg. Hier und da hingen Werbeplakate der Polizei an der Wand. Vor dem Büro mit der Nummer 322 blieb Trevisan stehen und klopfte.
Birger Giesmann stand am geöffneten Fenster und rauchte eine Zigarette. Er war seit dem letzten Mal noch ein klein wenig kräftiger geworden. Trevisan taxierte sein Gewicht auf 120 Kilo. Doch die überschüssigen Pfunde fielen bei seiner Größe von über einem Meter neunzig nicht sonderlich ins Gewicht.
»Mensch, Martin!« Giesmann schnippte die Zigarette aus dem Fenster. »Schön, dich wieder mal zu sehen, habe ja lange nichts mehr von dir gehört. Wie geht es deiner Tochter?«
»Gut, ihr geht es gut«, antwortete Trevisan.
»Und wer ist die junge Dame, die du hier mitgebracht hast?«
»Das ist Anne Jensen«, erklärte Trevisan. »Sie ist noch in der Ausbildung und macht bei uns ihren praktischen Umlauf.«
Anne lächelte verlegen. Giesmann nickte ihr freundlich zu.
»Wollt ihr einen Kaffee?«
»Vorerst nicht«, entgegnete Trevisan. »Aber schön von dir, dass du dir Zeit für mich nimmst. Ich stehe etwas unter Druck. Können wir gleich zur Sache kommen? Ich will vor Dienstschluss wieder in Wilhelmshaven sein.«
Giesmann schloss das Fenster. »Also dann, gehen wir zu ihm. Er ist unter dem Dach. Ich habe gehört, was für eine Schweinerei bei euch da oben läuft. Das ist schon das zweite Mal in diesem Jahr, nicht? Mal sehen, ob wir euch ein bisschen helfen können.«
Im Dachgeschoss empfing sie eine Kühle, die Trevisan frösteln ließ.
»Die Klimaanlage läuft wegen der Computer ständig auf Hochtouren«, erklärte Birger.
Er führte sie in ein kleines dunkles Zimmer am Ende des Flures. Zwei Computerbildschirme flimmerten in einer Ecke. Ansonsten war der Raum leer.
Giesmann schaute sich suchend um. »Vielleicht ist er auf dem Klo.«
Ein junger Mann mit kurzgeschorenen Haaren und bleichem Gesicht trat hinter ihnen ein, in der Hand eine Coladose.
»Hallo Mike«, grüßte Giesmann. »Das ist der Kollege aus Wilhelmshaven, von dem ich dir erzählt habe.«
Der Angesprochene nickte nur kurz. Trevisan musterte den jungen Mann. Er war nicht viel älter als seine Begleiterin Anne. Giesmann bemerkte Trevisans Blick.
»Das ist die junge Generation, die unsere Überlegenheit über das Verbrechen garantiert«, sagte er
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