Das Haus in den Dünen
mittlerweile ein Mensch ums Leben kam. Der Brandstifter hinterlässt Bibelsprüche an den Tatorten. Sie wurden in dieser Reihenfolge aufgefunden.«
Jakob Goldbeck faltete den Bogen Papier auseinander, setzte eine Brille auf und las. Dann setzte er die Brille ab. »Sprüche aus dem Pentateuch, der Thora. Die Weisungen Mose an das Volk Israel. Sie glauben, der gesuchte Brandstifter könnte jüdischen Glaubens sein?«
»Es ist nur eine Theorie«, beeilte sich Till zu antworten. »Aber wir müssen jeden Ansatzpunkt in Erwägung ziehen. Die Bevölkerung in unserem Landstrich ist vorwiegend protestantisch. Es gibt nur wenige katholische Gemeinden.«
»Warum nicht«, antwortete Goldbeck mit weicher Stimme. »Juden sind auch nur Menschen, mit allen Stärken und Schwächen, die Gott seiner unvollkommenen Schöpfung mit auf den Weg gab.«
»Ich dachte, als Vorsitzender der jüdischen Gemeinde hier in Oldenburg und der Umgebung könnten Sie uns vielleicht weiterhelfen.«
»Ich habe natürlich von den Bränden gelesen«, entgegnete Goldbeck. »Allerdings dachte ich dabei nicht an ein Mitglied unserer Gemeinde.«
Till hob entschuldigend die Hände. »Vielleicht steckt auch gar nichts hinter dieser Theorie und der Täter ist einfach nur ein Spinner, der wahllos die Bibel durchforstet und Sprüche niederschreibt, in denen es um Brandopfer oder das Feuer geht.«
»Das wäre natürlich ebenso möglich«, entgegnete Jakob Goldbeck. »Unsere Gemeinde hier in Oldenburg und Umgebung besteht aus beinahe vierhundert Mitgliedern. Diese Menschen führen ein eher unauffälliges Leben. Sie müssen verstehen, noch immer liegt die Vergangenheit auf unseren Schultern wie eine schwere Bürde. Ganze Familien wurden in den dunklen Jahren ermordet. Erst langsam wächst wieder das Vertrauen in dieses Land.«
»Ich verstehe«, antwortete Till mit belegter Stimme. »Der Naziterror ist noch lange nicht vergessen.«
»Und darf nie vergessen werden. Nur wenn man sich an seine Schuld erinnert, wird man einen toleranteren Umgang miteinander suchen. Schauen Sie, wir alle glauben in irgendeiner Form an einen einzigen Schöpfer. Ob man ihn Gott, Jahwe oder auch Christus nennt, so bleibt doch eines immer gleich: Er liebt die Menschen und will, dass auch die Menschen sich lieben und achten. Die Vergangenheit meines Volkes ist gezeichnet durch Hass, Verfolgung und Tod. Bereits im Mittelalter wurde mein Volk gejagt, vertrieben und ermordet. Christen werfen uns vor, Gottes Sohn gekreuzigt zu haben. Aber waren es wirklich Juden auf dem Berg Golgatha? Nein, Römer, die damalige Besatzungsmacht im Lande unserer Väter, kreuzigten ihre Staatsfeinde und die Römer regierten das Land Israel zu Zeiten von Jesu Geburt. Handwerkszünfte verboten den Juden die Ausübung von Berufen, so dass keine andere Wahl blieb, als andere Fähigkeiten zu entwickeln. Handel, Medizin, das Bankwesen. Es war uns von unserer Religion nicht verboten, so wie es damals Rom und der heilige Vater seinen Getreuen verboten haben. Und als wir reich und mächtig wurden, suchte man andere Gründe, um uns zu berauben, zu vertreiben oder zu ermorden. Ein Volk, das ein Leben in stetiger Furcht führt, lernt die Zeichen der Zeit zu deuten. Und deshalb ist es notwendig, nie zu vergessen.«
Tills Beklommenheit wuchs. »Entschuldigen Sie, ich wollte …«
»Nein, Sie müssen entschuldigen«, fiel ihm Jakob Goldbeck mit einem sanften Lächeln ins Wort. »Diese Dinge sind vergangen und wenn es nun auch einzelne Unbelehrbare gibt, die sich in Unwissenheit oder Ignoranz wieder zu Wort melden und lauthals gegen mein Volk schreien, so sind wir dennoch gewiss, dass die Mehrheit Ihres Volkes um die Geschehnisse weiß und dazugelernt hat. Im Grunde genommen bestehen wir aus dem gleichen Fleisch und in unseren Adern fließt das gleiche rote Blut wie in allen Menschen, die Gott erschaffen hat, egal welcher Hautfarbe. Also, wie kann ich Ihnen in Ihrem Fall behilflich sein?«
Till atmete tief ein. »Wir suchen nach einem Mann zwischen achtzehn und fünfzig, der in der Gegend um Wilhelmshaven wohnt. Er hat unseren Ermittlungen nach viel Zeit und wohl auch einiges an Insiderwissen, wie man einen Brand legt. Vielleicht ist es sogar ein Feuerwehrmann. Er fährt einen dunklen Kleinwagen. Einen Opel Corsa oder so etwas Ähnliches. Vielleicht können Sie sich einmal umhören.«
Jakob Goldbeck überlegte. »Es gibt einige Mitglieder unserer Gemeinde, die aus der Gegend um Wilhelmshaven stammen. Mir selbst fällt auf
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