Das Haus in den Dünen
aufspringen, dann macht das unsere schöne Region bald zum Dorado für Mord und Totschlag. Ohnehin ist unser Image derzeit sehr angekratzt, denn es ist noch immer nicht gelungen, den Feuerteufel vom Wangerland, wie ihn die Presse poetisch nennt, dingfest zu machen. Aber diesbezüglich wird eine Sonderkommission ab Montag ihre Tätigkeit aufnehmen. Sie, meine Damen und Herren, werden sich intensiv um die Aufklärung der Mordfälle bemühen.« Beck fuhr sich über die Stirn. Er wandte sich Trevisan zu. »Sollten weitere Leute gebraucht werden, dann wende dich bitte sofort an mich. Und vergiss nicht, mich über die Fortschritte in der Sache zu informieren.«
Beck verabschiedete sich. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, erhob sich Trevisan wieder. »Also gut, dann gehen wir jetzt ans Eingemachte. Wir müssen eventuelle Zeugen ausfindig machen. In der Nähe des zweiten Tatortes ist ein Campingplatz. Vielleicht hat dort jemand was beobachtet oder in der Firma wurden Beobachtungen gemacht. Wer kümmert sich darum?«
Annemarie Petri vom 7. FK und ihre Kollegin Simone Jentsch meldeten sich. Trevisan stimmte zu. »Als Nächstes müssen wir im Leben von Willo Brunken kramen. Woher kommt er, wo und wie lebte er, Freunde, Bekannte, Umfeld. Gibt es eine Beziehung zu Hans Kropp?«
»Das übernehme ich mit Anne«, sagte Monika Sander.
»Für Kropp gilt das Gleiche, ich denke, das sollten Tina und Alex machen. Ihr habt ja schon mal angefangen.«
»Alles klar, Boss«, quittierte Alex.
»Spurenauswertung, Vergleiche, Überprüfungen, vor allem der Knöpfe, das fällt in dein Ressort, Horst«, sagte Trevisan zu Kleinschmidt.
»Und was mache ich?«, fragte Till Schreier.
»Du hängst dich an den Computer«, antwortete Trevisan. »Wir brauchen die Lebensläufe der Opfer. Lückenlos, wenn es geht.« Er schaute auf die Uhr. Es war kurz nach vier. »Lest euch in den Fall ein, die Berichte liegen vor euch, und dann gilt es keine Zeit zu verlieren, denn ich glaube, das war nicht der letzte Mord. Ich habe ein ungutes Gefühl bei der Sache.«
*
Sie hatte gehofft, etwas mehr Zeit zu haben, aber jetzt wusste sie, dass es schnell gehen musste. Er hatte sich ein Flugticket gekauft. Schon nächsten Dienstag würde er von Hamburg abfliegen. Nach Thailand. Das machte er jedes Jahr. Immer um die gleiche Zeit, hatte sie erfahren. Und weniger Zeit bedeutete ein höheres Risiko. Trotzdem würde sie es schaffen, das wusste sie. Sie würde alles schaffen, was sie sich vorgenommen hatte.
Er wohnte in Fedderwarden und arbeitete im Hafen. Er lebte alleine, hatte keine Frau und auch sonst keine Angehörigen. Ein dreckiger, stinkender Hafenarbeiter war aus ihm geworden, und ein Trinker, der sein Leben nicht in den Griff bekam. Anders als Willo Brunken. Diesmal würde sie kein Mitleid empfinden. Diesmal würde sie keine Träne vergießen, so wie heute Morgen, als sie mit verheulten Augen aufgewacht war. Konnte es tatsächlich sein, dass sich Menschen änderten, dass Wölfe zu Schafe wurden und Schafe zu reißenden Wölfen?
Sie hatte oft genug darüber nachgedacht, aber sie glaubte nicht daran. Die Aufrichtigkeit, das Verantwortungsgefühl, die Menschlichkeit – alles nur gespielt. Unter der Schale befand sich ein verfaulter Kern. Und verfaultes Obst wurde ausgesondert. Es taugte gerade noch als Tierfutter.
Sie war auf der Jagd und kein Mensch der Welt vermochte sie aufzuhalten. Niemand würde sich ihr entgegenstellen. Sie war ein Sturm, ein heftiger Orkan. Der Tod ihrer Mutter hatte diesen Orkan entfesselt. Und der Orkan würde erst wieder abflauen, wenn er den Tod über die gebracht hatte, die ihn verdienten.
Sie stieg in ihren Wagen und fuhr über die Kaiser-Wilhelm-Brücke zurück in die Stadt. Sie sehnte sich nach einer heißen Dusche.
28
Ein verregneter und hektischer Freitag war angebrochen. Trevisan hatte gut geschlafen und war gegen acht ins Büro gefahren. Die Straßen in der Stadt waren verstopft, Trevisan benötigte beinahe eine halbe Stunde, bis er seinen Wagen endlich im Hof parken konnte.
Im Büro rief er umgehend im Reinhard-Nieter-Krankenhaus an. Er musste unbedingt mit Frau Brunken sprechen. Er bekam die Auskunft, dass sie am heutigen Morgen das Krankenhaus auf eigene Verantwortung in Begleitung einer Freundin verlassen hatte. Nachdem die Stationsschwester die Freundin beschrieben hatte, wusste Trevisan, von wem die Rede war.
Inga Holt empfing Trevisan an der Wohnungstür.
»Wie geht es ihr?«, fragte
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