Das Haus in den Dünen
Dach«, sagte Trevisan.
Während Monika zusammen mit Anne die Küche durchsuchte, ließen Trevisan und Dietmar die Spitztreppe herab. Unter dem Dach war es stickig und warm, denn es gab hier keine Isolierung. Der Raum war leer bis auf zwei große Umzugskartons in einer Ecke.
»Wenigstens ist es hier schön übersichtlich«, sagte Trevisan.
Dietmar öffnete einen Karton. Er enthielt abgelegte Frauenkleidung. Trevisan widmete sich der anderen Kiste. Sie war angefüllt mit zusammengebundenen Briefen und Fotoalben.
Trevisan griff sich wahllos einen Packen Briefe heraus und öffnete die Schleife. Die Poststempel verrieten, dass sie aus den Siebzigern und frühen Achtzigern stammten. Sie waren an Hildegard Lohmann adressiert und stammten offenbar von einem Verehrer mit Namen Gustav Heimann aus Kiel. Trevisan suchte weiter. Er fand einen kleineren Packen, bestehend aus etwa zehn Kuverts, die mit handgemalten Blumen verziert waren. Er zog eins hervor und schaute auf den Poststempel. Der Brief war im Mai 1981 auf Spiekeroog abgestempelt worden und von Uwe Lohmann an seine Mutter adressiert. Trevisan las die wenigen Zeilen.
»… ich will nicht hier bleiben. Bitte hole mich wieder ab. Sie hänseln mich alle. Ich will wieder nach Hause …«
»Er war schon damals als Sechzehnjähriger auf seine Mutter fixiert«, sagte Trevisan und streckte Dietmar den Brief entgegen.
Dietmar überflog die Zeilen. »Kein Wunder. Wenn der Vater einfach abhaut …«
Trevisan dachte an Grit, seine Frau, die ihn vor zwei Jahren verlassen und Paula bei ihm zurückgelassen hatte. »Ja, und dann klammert man sich an das, was man noch hat.«
»Eben, ein Trauma«, antwortete Dietmar trocken.
»Ich glaube, wir nehmen die Kiste mit«, beschloss Trevisan. »Sie scheint mir das Persönlichste, was uns Lohmann hinterlassen hat.«
»Was versprichst du dir davon?«, fragte Dietmar.
Trevisan verzog das Gesicht. »Vielleicht ein wenig Klarheit.«
*
Seit vier Stunden versuchte er bereits, diesen blöden Zaun aufzurichten, den irgendein Spinner umgefahren hatte, doch er versank im matschigen Boden und beinahe hätte ihm der Morast die Stiefel vom Fuß gezogen. Er schwitzte, aber er ließ nicht von seiner Arbeit ab. Mutter hatte ihm ausdrücklich aufgetragen, den Zaun endlich wieder zu reparieren. Und er hatte es ihr versprochen. Mutter konnte sehr lästig sein, wenn sie etwas erreichen wollte. Er mühte sich ab, mit dem großen Vorschlaghammer den hölzernen Pflock in den Boden zu rammen, aber egal welche Stelle er aussuchte, immer wieder traf er auf durchweichten Untergrund.
Fluchend warf er den Hammer auf den Boden und atmete tief ein.
»Es klappt wohl nicht so, wie du willst«, sagte eine Stimme in seinem Rücken. Erschrocken fuhr er herum.
»Swantje!«, stieß er überrascht hervor.
Die junge Frau stand lächelnd auf dem Feldweg. Ihr Fahrrad hatte sie neben sich abgestellt. »Ja, ich bin wieder hier.«
Er wischte sich die schmutzigen Hände an seiner Arbeitshose ab. Ihm wurde heiß und er spürte, dass er errötete. »Ich habe gehört, dass du wiedergekommen bist«, sagte er heiser. »Ich dachte, du wolltest nach Amerika.«
»Hat nicht so geklappt«, antwortete sie knapp. »Was machst du hier?«
Er wies auf den Zaun. »Hat jemand umgefahren.«
»Und jetzt musst du ihn wieder aufstellen.«
Er nickte. »Und was machst du?«
Das Mädchen wies nach Osten. »Ich will nach Langewerth. Paulsen verkauft Honig.«
Er überlegte. »In Langewerth ist jemand umgebracht worden«, antwortete er.
»Habe ich gehört«, entgegnete Swantje. »Ist schon schlimm. In Chicago spricht niemand großartig darüber. Dort gibt es fast zweitausend Morde pro Jahr. Aber hier bei uns … Das ist unvorstellbar. – Vielleicht können wir uns ja mal treffen«, sagte sie und schwang sich auf ihr Fahrrad.
Er nickte. »Ja, vielleicht.«
Sie winkte ihm zu und trat in die Pedale. Er schaute ihr nach, bis sie an der nächsten Biegung verschwand. Eine wohlige Wärme breitete sich in seinem Körper aus.
»Ja, vielleicht sollten wir das«, murmelte er.
*
»Mensch, Trevisan«, sagte Beck hektisch. »Wo hast du nur gesteckt?! Hier war die Hölle los. Die Presse gibt sich die Klinke in die Hand und die Direktorin sucht auch schon nach dir.«
»Wir ermitteln in drei Mordfällen«, antwortete Trevisan. »Ich habe keine Zeit, mich auf den Stuhl zu setzen und zu warten, bis mich jemand besucht.«
»Und wie läuft es?«
»Es ist noch zu früh, um etwas sagen zu können«,
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