Das Haus in den Dünen
…«
»Glaubst du, der Täter schlägt noch einmal zu?«, fragte Monika.
Trevisan seufzte. »Ich fürchte sogar, früher als uns lieb ist.«
*
Sie hatte ihren Wagen auf einem Feldweg abgestellt und schlenderte wie eine gewöhnliche Spaziergängerin den Schotterweg entlang. Einzelne Wolken zogen am Himmel ihre Bahn, aber es war warm und trocken. Sie hasste den Regen. Wenn es regnete, zogen düstere Gedanken durch ihren Kopf und legten Melancholie wie einen Schleier über ihr Leben. Dieser Schleier sollte ein für alle Mal verschwinden. Sie hatte genug Zeit in der düsteren Welt zugebracht. Hatte sich das Hirn zermartert, gegrübelt und war zu dem Ergebnis gekommen, dass man nur Ruhe hatte, wenn man das Buch endgültig zuschlagen konnte. Die Schuld war wie ein tonnenschweres Gewicht, das einem die Luft abschnürte.
Lucia würde es verstehen. Wenn sie auch fern von irdischer Wahrnehmung lebte, versunken in eine eigene Welt, so würde sie sicher dennoch verstehen, was es bedeutete, sich von allen Sünden reinigen zu können.
… und der Herr war ein verzehrendes Feuer …
Mehr als einmal hatte sie sich an diesen Spruch erinnert, hatte dieser Schrei sie in der Nacht aus dem Schlaf gerissen, sie schweißgebadet aufgeweckt. Danach hatte sie stundenlang wach gelegen und war bei Sonnenaufgang müde und mit heftigen Kopfschmerzen aufgestanden, um sich durch den Alltag zu quälen, bis die nächste Nacht hereinbrach und dieser Schrei wiederum ihren Schlaf beendete. Manchmal drei, vier Nächte hintereinander, bis dann die Müdigkeit so groß war, dass selbst dieser Schrei ungehört verhallte.
Im Betrieb war sie stets zuverlässig und strebsam gewesen. Fassade, nichts als Fassade. Oh, wie gut man sich doch unterordnen konnte, wenn man wusste, dass man einer großen Aufgabe diente.
Das Gehöft lag abseits des Weges. Sie blieb stehen, weil sie eine Bewegung erkannt zu haben glaubte, und sah drüben einen Mann auf der Wiese stehen. Er schlug einen Pfahl in die Erde. Noch war er zu weit entfernt, um das Gesicht erkennen zu können. Doch sie hatte die Witterung aufgenommen. Das Raubtier verbarg sich noch im Unterholz, aber es war auf der Jagd. Für die Beute gab es kein Entkommen mehr.
33
Dietmar und Till hatten sich früh am Morgen im Büro verabredet. Dietmar hatte Till gebeten, ihm bei den Briefen aus der Umzugskiste auf Uwe Lohmanns Dachboden zu helfen. Es waren beinahe fünfhundert Kuverts. Zehn Briefe hatte Uwe Lohmann an seine Mutter geschrieben, aus Landschulheimen und Ferienfreizeiten, an denen er wohl zwangsweise hatte teilnehmen müssen. Zumindest hatte es den Anschein, denn die Briefe waren von einem unglücklichen und heimwehgeplagten Jungen verfasst worden. Seine Mutter war der Mittelpunkt seines Lebens und das, konnte man den Angaben der Nachbarschaft glauben, hatte sich bis ins Alter fortgesetzt.
Die übrigen Briefe stammten meist von Beziehungssuchenden. Manchen lagen Bilder bei, die adrette Herren zeigten. Offenbar hatte Lohmanns Mutter über mehrere Kontaktbörsen und Heiratsinstitute einen neuen Lebenspartner gesucht. Ihre Suche schien vergeblich geblieben zu sein, denn sie hatte nie wieder geheiratet. Dennoch war einigen Briefen zu entnehmen, dass sie sich mit dem einen oder anderen Kandidaten getroffen und zarte Bande geknüpft hatte.
»Also, ich weiß nicht«, murmelte Dietmar und schaute in die noch halb gefüllte Kiste, »ich denke nicht, dass uns die Briefe wirklich weiterbringen. Wir wissen ja überhaupt nicht, nach was wir genau suchen sollen.«
Till verzog das Gesicht. »Verbindungen«, antwortete er trocken.
Dietmar zog mit einem Seufzer einen weiteren Brief heraus und begann zu lesen. Er lachte. »Hier habe ich einen ganz besonderen Poeten. Deine Augen glänzen wie ein stiller, ruhiger See, deine Lippen sind wie Feuer und dein Antlitz ist die Sonne, die meinen Tag erhellt.«
Till grinste. »Ich finde das gut, zeig mal her.«
Dietmar reichte Till den Brief. Er war auf rosa Papier verfasst. Lilien zierten die Ränder.
»Meinst du, der hat das selbst erfunden oder bloß irgendwo geklaut?«
Bevor Dietmar antworten konnte, klingelte das Telefon. Er nahm das Gespräch an und reichte Till den Hörer. »Für dich.«
»Hier ist ein Herr Goldbeck am Apparat«, sagte die Dame von der Vermittlung. »Er will mit Ihnen sprechen.«
Till bestätigte und schon knackte es in der Leitung. »Herr Schreier, Sie erinnern sich noch an mich?«, begrüßte ihn Jakob Goldbeck. »Ich habe mit einigen
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