Das Haus in den Wolken
angehabt?«
»Etwas Schwarzes, glaube ich.«
»War sie hübsch?«
»Natürlich nicht«, sagte er kühl. »Sie war auffallend. Ordinär.«
Ruby sah eine Mrs. Davenport mit verruchtem Blick vor sich, im tief ausgeschnittenen Satinkleid und mit langer Perlenkette. »Und ihre Wohnung?«, fragte sie weiter. »Erzähl mir von der Wohnung.« Das Boudoir einer Kokotte â wie würde das aussehen? Ausgestattet mit roséfarbenen StrauÃenfedern und Leopardenfellen, vielleicht.
»Sie warâ¦Â« Er schüttelte den Kopf. »â¦ich kann mich nicht erinnern. Ganz normal, glaube ich.«
Ruby seufzte. »Keine mit rotem Samt bezogene Chaiselongue?«
»Nein.« Er drehte das emaillierte Zigarettenetui in den Händen. Seine Augen waren ganz schmal â vor Verachtung für die verderbte Mrs. Davenport vermutlich, dachte Ruby.
»Was hat sie gesagt? Hat sie furchtbar schuldbewusst dreingesehen?«
»Schuldbewusst?« Zum ersten Mal sah er sie direkt an. »Nein, ich glaube, es war ihr völlig egal.«
Ruby war beeindruckt. »So jemand ist sicher abgebrüht.«
»Vermute ich auch.« Doch seine Aufmerksamkeit hatte sich schon wieder von ihr abgewandt. »Aber damit kommt sie nicht durch«, murmelte er. »Das lasse ich ihr nicht durchgehen.«
Mrs. Davenport war nicht so gewesen, wie Philip erwartet hatte. Für ein Flittchen, das nur auf Geld aus war, hatte sie zu intelligent und gebildet gewirkt.
Am späten Nachmittag wartete er drauÃen vor ihrem Hutladen auf sie. Sie bemerkte ihn sofort, als sie aus der Tür trat. »Sie«, sagte sie. Er sah die Abneigung in ihrem Gesicht, ehe sie sich umdrehte, um den Laden abzuschlieÃen. »Warum sind Sie hier?«
»Sie wissen, warum ich hier bin.«
»Wenn Sie mich wieder zu albernen Versprechen auffordern wollen, sollten Sie Ihre Zeit lieber anders verwenden, denn ich werde Ihnen gar nichts versprechen.« Sie ging einfach davon und lieà ihn stehen.
Nach einem Moment blinder Wut rannte er ihr hinterher. »Was? Sind Sie immer noch da?«, fragte sie, als er zu ihr aufschloss. Sie wandte sich Richtung Norden, zur Bond Street, ihre hohen Absätze klapperten auf dem Gehsteig. Philip ging neben ihr her.
Plötzlich fuhr sie ihn an: »Und dies nur zu Ihrer Information â Richard ist wohl kaum alt genug, um mein Vater zu sein. Sonst hätte er schon in der Oberstufe der Schule damit beginnen müssen, Kinder zu zeugen.«
Was bedeutete, dass sie etwa Anfang dreiÃig war, überschlug er rasch. »Das entschuldigt nicht das, was Sie tun.«
»Ich versuche nicht, mich zu entschuldigen. Es gibt nichts, wofür ich mich entschuldigen müsste.«
Ihre Haltung regte ihn auf. »Er ist verheiratet , Herrgott noch mal!«
»Ja, ich weiÃ. Richard hat kein Geheimnis daraus gemacht.«
»Dann dulden Sie Ehebruch also?«
»Ehebruch?« Sie lachte kurz auf. »Oh, Philip, wie aufgeblasen. Nein, ich dulde Ehebruch keineswegs, wenn Sie schon fragen. Aber ich verdamme ihn auch nicht rundheraus. Es kommt stets auf die Umstände an.«
Sie stand an einer Kreuzung und wartete auf eine Lücke im Verkehr. Barsch erwiderte er: »Das ist Unsinn.« Er betrachtete sie, während er sprach. Er wollte sie aus ihrer Selbstzufriedenheit reiÃen. »Das ist doch nur eine Phrase zur Beruhigung Ihres Gewissens. Das sagen Sie sich selbst, damit Sie sich besser fühlen können. Manche Dinge tut man einfach nicht.«
»Ach ja?« Sie warf ihm einen kühlen Blick zu. »Sagen Sie, haben Sie jemals gestohlen?«
»Natürlich nicht!«
»Aber wenn Sie Hunger litten â oder jemand, den Sie lieben â und Sie nichts zu essen hätten, dann würden Sie vielleicht doch stehlen, nicht wahr?«
Als sie an einem Zeitungsstand vorbeikamen, wurden sie von einer Schlange Menschen, die nach dem Evening Standard anstanden, kurzzeitig voneinander getrennt. Sobald sie wieder nebeneinandergingen, sagte Philip: »Ich würde eine Lösung ï¬nden. Ich würde mich nie so weit erniedrigen zu stehlen.«
Diesmal lag eine Spur Hohn in ihrem Lachen. »Das sagen Sie, weil es Ihnen noch nie an etwas gefehlt hat.«
»Das stimmt nicht!«
»Oh doch, Philip, natürlich.« Flüchtig ruhte ihr Blick auf ihm. Er sah, dass ihre Augen grau waren, von jenem reinen, hellen Eisgrau, das im Winter auf Teichen glänzte.
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