Das Haus in den Wolken
Besitzes beraubt, auf rostige Schiffe verladen und die Donau hinabgeschickt wurden, von Brüdern in Konzentrationslagern oder von kleinen Schwestern, die in einem Zug, der Juden von Wien nach Amsterdam transportierte, Fremden in die Arme gedrückt wurden, schockierten sie. Sie kochte ihnen Kaffee und bewunderte die Fotograï¬en, die sie ihr zeigten, Fotograï¬en, die so oft betrachtet wurden, dass sie an den Ecken schon ganz abgeknickt waren.
An einem schönen Morgen fuhren Sara und Anton mit dem Zug an die Küste nach Bexhill, um den De-La-Warr-Pavillon zu besichtigen, einen glanzvollen Art-Déco-Palast aus Glas, Beton und Stahl mit Blick aufs Meer. »Eines Tages«, sagte Anton, »baue ich dir so ein Haus, Sara. Ein Haus aus Raum und Licht. Es wird mitten in einem Wald stehen, an einem wunderschönen See, und wir werden für immer zusammen sein, und niemand kann uns mehr trennen.«
Anton Wolff war plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht, dachte Edward und war immer noch ganz erschüttert, wenn er sich daran erinnerte, wie Sara ihn eines Nachmittags in einem Café mit Wolff bekannt gemacht hatte. Edward, ich möchte dir Anton vorstellen. Anton, das ist mein lieber Freund Edward. Mehr als ein Murmeln hatte er zur BegrüÃung nicht zustande gebracht.
Sara war wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass Anton Wolff und er Freunde werden würden. Und oberï¬Ã¤chlich betrachtet, waren sie das ja auch. Wolff bat Edward um Rat, wenn es um das Anmieten eines Zimmers oder um das Ausfüllen eines Formulars ging; und manchmal, wenn Sara arbeiten musste, gingen die beiden Männer zusammen etwas trinken. Er spielte die Rolle des hilfsbereiten Freundes, was hätte er auch sonst tun sollen? Er kannte die Alternative, aber dann hätte er Sara gar nicht mehr zu sehen bekommen, und das wäre ihm unerträglich gewesen.
Doch im Grunde empfand er eine tiefe Abneigung gegen Wolff. Es schmerzte ihn zu sehen, wie Wolff den Arm um Saras Schultern legte oder sie an sich zog und sie küsste. Wolff sah gut aus, dachte Edward, jedenfalls wenn man dieses Kinostar-Aussehen mochte, das Frauen ja oft geï¬el; und im Umgang war er genau von dieser einnehmenden Natürlichkeit, die Edward stets zu kultivieren suchte, aber nie richtig hinbekam. Doch für Sara war Wolff nicht gut genug. Edward ï¬el natürlich auf, wie abgetragen Wolffs Kleider waren und dass er weder eine Anstellung noch ein richtiges Einkommen hatte. Sogar sein Akzent und sein gelegentliches Verheddern in der englischen Sprache missï¬elen ihm. Er war einfach zu anders .
Am liebsten hätte Edward die Zeit zurückgedreht. Wäre Wolff bloà in Ãsterreich geblieben, dann hätte er selbst vielleicht eine Chance gehabt und Sara hätte sich in ihn verliebt.
Seit sie in Porthglas Cottage wohnte, hatte Isabel manchmal das Gefühl, in die Einsamkeit zurückgekehrt zu sein, die sie als junge Frau erlebt hatte. Sie nahm eine gewisse gesellschaftliche Ausgrenzung wahr, die vermutlich damit zusammenhing, dachte Isabel, dass sie von ihrem Ehemann getrennt lebte. Aber es machte ihr nichts aus, sie hatte nicht den Wunsch, Teil einer Clique oder Gruppe zu sein. Vor langen Jahren, damals in Lynton, war sie schon einmal der Gegenstand von Klatsch gewesen; und während ihrer Ehe hatte sie sich wegen ihres Herkommens aus der Dienerschaft in Gesellschaft von Richards Freunden und Kollegen stets wie eine AuÃenseiterin gefühlt. Ihr Anderssein und ihre Einsamkeit machten ihr jetzt im Alter von neunundvierzig Jahren sehr viel weniger aus als mit zwanzig.
Es erleichterte sie mehr und mehr, dass sie nicht länger vorgeben musste, jemand zu sein, der sie nicht war. Auch die Ruhe in ihrem Leben bedeutete eine gewisse Erleichterung, all die stürmischen Streitereien fehlten ihr keinen Moment. Sie hatte die Leidenschaft hinter sich gelassen und fühlte sich, endlich, ausgeglichen. Ja, es erleichterte sie sogar, dass sie der Anspannung ihrer Ehe entkommen war, denn sie hatte erkannt, wie sehr sie stets gefürchtet hatte, sie könnte Richard verlieren. Nun, jetzt hatte sie ihn verloren, was sonst sollte sie noch fürchten? In ihrer Ehe hatte sie alle Extreme des Gefühlslebens kennengelernt. Manchmal war die Liebe wunderbar gewesen, doch oft auch zerstörerisch.
Sie verlieà Cornwall so wenig wie möglich. Noch etwas, das sie nicht länger verbergen musste: ihre Abneigung gegen
Weitere Kostenlose Bücher