Das Haus in den Wolken
sie wegwollte. Er betrachtete sie, während sie sich das dicke schwarze Haar kämmte. Sie hielt inne und sah ihn an. »Tatsache ist doch«, sagte sie, die Hände in die Hüften gestemmt, »dass jeder von uns vor einer Entscheidung steht. Sogar du wirst dich entscheiden müssen, mein Schatz. Ich meine, entweder man kämpft, oder man fügt sich. Man leistet Widerstand oder tut, was einem gesagt wird.« Sie klappte eine Puderdose auf und drehte ihren Lippenstift auf. »Du kannst auf die Dauer nicht den unbeteiligten Zuschauer spielen, Theo. Das werden sie nicht zulassen.«
Er dachte daran, wie sehr sie ihm fehlen würde, seine groÃe dunkle Aleks. Beim Aufwachen würde er daran denken, wie sie sich morgens im Bett räkelte, mit katzenhafter Geschmeidigkeit ihre Glieder streckte, ehe sie die Decke abwarf. Er würde daran denken, wie sie ihre Finger in sein Haar schob, wenn er sie küsste, und ihn an sich drückte, als wollte sie ihn sich einverleiben.
»Ich könnte mitkommen«, sagte er.
»Nein.« Sie küsste ihn auf den Mund. »Wenn wir das gewollt hätten, hätten wir es gemeinsam geplant. Aber das haben wir nicht getan.«
Theo hatte eine Filmzeitschrift herausgegeben â und die meisten Artikel darin selbst geschrieben â, aber das Blatt ging ein, als der Eigentümer, ein wohlhabender Belgier, sich entschlossen hatte, in den Süden zu gehen. »Ich habe das alles schon mal erlebt, 1914«, hatte er gesagt und Theo einen Klaps auf die Schulter gegeben. »Ich bin nicht scharf darauf, es noch mal zu erleben.«
Früher hatte es Theo nie etwas ausgemacht, wenn er gerade einmal keine Arbeit gehabt hatte. Er hatte die Gelegenheit genutzt, um zu reisen oder etwas ganz anderes, Interessanteres anzufangen. Obwohl er immer wieder nach Paris zurückkehrte, sah er es nicht als sein Zuhause. Irgendetwas ergab sich immer, das ihn wegführte â der Freund eines Freundes hatte beschlossen, eine Reihe von Städteführern herauszugeben und brauchte dafür jemanden, der mit dem Zug kreuz und quer durch Europa reiste; eine Baroness mit einem Hang zur Botanik hatte ihn beauftragt, die Pï¬anzen in ihrem Garten an der Côte dâAzur zu zeichnen; eine Sehnsucht, kalte Länder oder heiÃe zu sehen, allein unterwegs zu sein, fern von StraÃen, Häusern, Städten. Er hatte stets überlebt. Manchmal war er aufgeblüht. Die geschäftige Ameise, dachte er.
Jetzt jedoch, ohne Arbeit und ohne Aleksandra, war es aus mit der Geschäftigkeit, er wusste nicht recht, was er mit sich anfangen sollte, und das machte ihm zu schaffen. Alle anderen schienen damit beschäftigt zu sein, Pläne zu machen â Wenn dies geschieht, tun wir das; wenn das geschieht, tun wir dies  â, selbst wenn ihr Plan nur darin bestand, in Paris zu bleiben und zu tun, was sie immer getan hatten, ganz gleich, was geschah. Er wusste, dass er sich auch so verhalten sollte. Wenn Hitler es nicht bei Polen, Dänemark, Norwegen bewenden lieà â wenn seine Truppen nach Süden marschierten, durch die Niederlande und Belgien⦠und eigentlich war es ja schon kein »wenn« mehr, denn warum sollte er jetzt haltmachen, wo diese anderen Länder alle so leicht gefallen waren?
Selbst du wirst dich entscheiden müssen , hatte Aleksandra gesagt. Er wusste, dass er sich nicht gern fügte, etwas dagegen hatte, sich festlegen zu lassen.
Das Fouquet auf den Champs-Ãlysées; ein Glas mit einem Freund von der britischen Botschaft. Sie sprachen über den Kampf um Norwegen.
»Ein Riesenschlamassel«, sagte der Freund und kippte seinen Marc hinunter. »Ganz unter uns gesagt.«
Sie saÃen an einem Ecktisch. Am Nebentisch versuchte ein reicher Financier, seine zukünftige Geliebte mit einer Flasche Roséchampagner zu verführen.
Der Freund sagte: »Keine ausreichende Luftnahunterstützung, und die Franzosen haben nicht mal die richtigen Klamotten, Hergott noch mal. Wenn Norwegen fällt, wird Chamberlain nicht überleben.« Ein kurzes, geringschätziges Lachen, während er gleichzeitig dem Kellner bedeutete, noch etwas zu trinken zu bringen. »Keine zwei Wochen bevor die Jerrys unsere Schiffe in Scapa Flow bombardierten, haben wir in Hamburg noch gottverdammte Flugblätter abgeworfen.«
Sie bekamen die Getränke, der Freund bot ihm eine Zigarette an. Gab ihm Feuer. Nebenan brach die Geliebte in
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