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Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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und Hannah zurechtkommen.«
    Ein Anflug von Interesse schimmerte auf.
    Ruby lächelte. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Tante Maude sich von ein paar Deutschen unterkriegen lässt.«
    Ein geflüstertes »Nein«.
    Â»Sie wird mit ihrem Gewehr aus dem Haus treten und ihnen eins verpassen.«
    Â»Ja.«
    Â»Was meinst du, was wird Hannah tun?«
    Etta blinzelte. »Hannah?«
    Â»Sie könnte den Hof verlassen und in einen der Kriegshilfsdienste der Frauen eintreten.«
    Ein Kopfschütteln. »Hannah wird den Hof niemals verlassen. Nicht, solange Maude lebt.« In der Stimme ihrer Mutter lag unerwartete Kraft.
    In einiger Entfernung stiegen Dampfwolken in den Himmel, als die Lokomotive in Sicht kam. »Alle machen irgendetwas anderes«, sagte Ruby. »Alle gehen irgendwo anders hin. Warum nicht auch Hannah?«
    In Ettas Blick veränderte sich etwas. »Maude hat immer gehortet. Wenn sie erst einmal etwas in Händen hatte, hat sie es nicht mehr hergegeben. Sie hätte nie etwas von ihren Süßigkeiten abgegeben oder andere mit ihrem Springseil hüpfen lassen. Maude war immer hart.«
    Zischen von Dampf und quietschende Bremsen, als der Zug in den Bahnhof einfuhr. Ruby kämpfte mit den Ellbogen, um ihrer Mutter einen Sitzplatz zu verschaffen. Als sie endlich in Andover ankamen, gingen sie direkt ins Hotel.
    Das Hotel Lees war schmucker als Ettas alte Privatpension in Eastbourne. Die Besitzerin, Mrs. Weston, erwies sich als eine muntere, tatkräftige Frau in Tweedrock und Twinset mit Perlenkette, auch wenn es ihr, fand Ruby, an Mrs. Sykes’ Herzlichkeit mangelte.
    Sie tranken gemeinsam Tee, dann gab Ruby ihrer Mutter einen Kuss und eilte zurück nach London. Der Zug war voll und jeder Platz besetzt. Sie stand im Gang, sah aus dem Fenster und empfand eine enorme Erleichterung, endlich allein zu sein, aber auch ein beschämendes Schuldgefühl über diese Erleichterung. Ihre Mutter war jetzt in Sicherheit, sagte sie sich, und das war das Wichtigste. Es war nichts Beschämendes an ihrer Freude darüber, dass sie ihre Wohnung wieder für sich hatte. Es war nichts Beschämendes daran, dass sie ihr eigenes Leben führen wollte; dass sie wieder die Ruby sein wollte, zu der sie sich selbst gemacht hatte; die Ruby, auf die sich die anderen Angestellten im Büro verließen; die die Geliebte eines verheirateten Mannes war; die sich an ihren einsamen Abenden kitschige, spannende Geschichten voll Habgier, Liebe und Begehren ausdachte.
    Aber es tat ihr weh, daran zu denken, wie verloren ihre Mutter in dem fremden Zimmer gewirkt hatte. Was tat Etta jetzt, in diesem Moment? Wahrscheinlich, fürchtete Ruby, wagte sie sich, vor lauter Angst, dass die anderen Frauen unten im Foyer sie anstarren könnten, keinen Schritt aus ihrem Zimmer. Oder sie war hin und her gerissen zwischen dem Schrecken, das Speisezimmer betreten zu müssen, und ängstlichen Hemmungen, das Essen aufs Zimmer zu bestellen. Die Gedanken an ihre Mutter quälten sie, und sie wünschte, die Bomber würden zurückkehren und sie ablenken.

    Nachts schlief Ruby im Heizungskeller, zusammen mit den anderen Bewohnern des Hauses. Kit und Daisy Mae waren da und Linda, die irgendetwas Flauschiges, Orangefarbenes strickte; Stephen, der zwei unterschiedlich lange Beine hatte, Pazifist und Vegetarier war und unglaublich schnarchte; und Jorge, ein spanischer Exilant, der kleine schwarze Zigarren rauchte, mit seiner Freundin Paula, die immer in einem königsblauen Seidenkleid in den Heizungskeller gerauscht kam, egal, zu welcher Tageszeit. Die Nächte waren eine einzige schreckliche Kakofonie aus dem Klappern der Stricknadeln, Jorges spanischen Flüchen und Stephens Schnarchen, aus Bombenkrachen und Geschützdonner, aus Schreien und Heulen, Pfeifen und Dröhnen, an die sie alle sich allmählich gewöhnten, bis es ihnen so vorkam, als würden sie sie schon jahrelang kennen; und mit der Zeit konnten sie eine hochexplosive Bombe recht genau von einer mit Fallschirm abgeworfenen Mine unterscheiden.
    Eines Abends geschah etwas Seltsames. Die Sirenen ertönten, und Ruby suchte gerade Bücher, Thermoskanne, Notizbuch und Decke zusammen, als das Haus von einem unheimlichen Lichtschein erhellt wurde und irgendetwas – irgendeine Kraft – durch die Luft peitschte. Als wäre die Luft selbst erbebt. Dann ließ die Anspannung wieder nach, und sie lief die

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