Das Haus in Georgetown
für Möglichkeiten sie hatte. Sie konnte bei irgendeinem Quacksalber eine Abtreibung vornehmen lassen und Joe erzählen, dass sie eine Fehlgeburt gehabt hatte. Mittel und Wege gab es, aber sie kannte auch die Gefahren. Abtreibung war illegal. Selbst Frauen, die sich einen echten Arzt leisten konnten, gingen ein Risiko ein. War die Schwangerschaft so weit fortgeschritten wie ihre, setzte man sein Leben aufs Spiel.
Außerdem widerstrebte ihr der Gedanke zutiefst, jenseits aller Angst. Das Baby, das unbekümmert in ihrem Bauch gedieh, war von Dominik. Mutter Natur sorgte für Hormonausschüttungen, die dem Erhalt der menschlichen Art dienten. Vielleicht war sie eine Sklavin ihrer Biologie, aber die Möglichkeit einer Abtreibung schloss sie schnell aus.
Blieben drei Alternativen. Sie konnte beten, dass sich die Geburt verzögerte oder Joe zu wenig wusste, um misstrauisch zu werden.
Sie konnte ihrem Mann die Wahrheit sagen und hoffen, dass Joe aus Angst um seine Karriere so tun würde, als wäre das Kind von ihm.
Oder sie löste die kleine „Versicherung“ ein, die sie beiseite gelegt hatte.
Zu Beginn des sechsten Monats wurde ihr die Entscheidung aus der Hand genommen. Erfreut über ihre Ankündigung und besorgt um ihre Gesundheit, hatte Joe seine Ansprüche an sie heruntergeschraubt und sie gebeten, sich zu schonen. Er hörte auf, sich über das Reihenhaus, den Verkehr auf der Prospect Street und die Jesuiten-Universität zu beschweren, die ihm die Aussicht verdarb. Er verlegte sein Büro freiwillig in das fensterlose mittlere Schlafzimmer, damit das Baby in den Genuss der kühlen Sommerbrise vom Fluss kam.
Dann, an einem ungewöhnlich warmen Frühlingsabend, war Joe plötzlich wie ausgewechselt gewesen. Am Morgen hatte er noch entzückt und stolz auf seine Leistung die Hand auf ihren Bauch gelegt, um die ersten Bewegungen des Kindes zu spüren. Sie hatte ihm wohlweislich verschwiegen, dass es sich schon seit Wochen bewegte. Stattdessen hatte sie ein glückliches Lächeln aufgesetzt, doch die Tränen in ihren Augen waren keine Freudentränen.
Als er am Abend zur Tür hereinkam, war sein Gesicht fahl, und er winkte ab, als sie ihm einen selbst gemachten Eistee anbot. „Ist das alles, was du heute getan hast, Lydia? Eistee zubereiten und dich für mich zurechtmachen?“
So warm der Abend war, im Zimmer hatte es sich merklich abgekühlt. Sie zwang sich, ruhig zu bleiben. Joe geriet leicht in Wut, wenn etwas nicht in seinem Sinne lief, und für ein junges Mitglied des Kongresses liefen die Dinge selten glatt.
Sie stellte das Glas auf den Mahagonitisch ihrer Großmutter. „Ich habe das Haus geputzt und im Garten gearbeitet. Ein bisschen gelesen. Und für heute Abend einen Eintopf gekocht, weil ich nicht wusste, wann du nach Hause kommst.“
„Ich habe meinen Appetit um vier Uhr verloren. Möchtest duerfahren, wieso? Meine Sekretärin hat mich an diesen Termin erinnert.“ Joe warf einen Zettel auf den Tisch.
Stirnrunzelnd nahm Lydia ihn an sich. Das Papier war zerknüllt und wieder glatt gestrichen worden. Die Bleistiftschrift war im schwachen Licht schwer zu entziffern. „Ich kann das nicht lesen.“
„Es kommt von der Praxis deines Frauenarztes. Du hast morgen einen Termin.“
„Ja, aber ...“
„Sie haben dich zu Hause nicht erreicht, also haben sie meine Sekretärin angerufen, um den Termin zu bestätigen. Offenbar haben sie für Notfälle meine Büronummer.“
„Ich bin den ganzen Tag zu Hause gewesen, Joe. Ich war nur kurz im Garten, Unkraut zupfen. Wir hatten so schönes Wetter und ...“
„Lass mich ausreden. Das Beste weißt du noch gar nicht, Lydia. Sie wollte nicht nur dich , sondern auch mich erinnern. Weil dein Arzt am Ende des zweiten Schwangerschaftsdrittels gern den Kindsvater dabei hat, und er wollte, dass ich bei diesem Termin ebenfalls anwesend bin.“
Sie gab vor, ihn nicht zu verstehen, und versuchte verzweifelt Zeit zu schinden. „Ich habe dich nicht darum gebeten, weil ich weiß, wie viel du zu tun hast. Ich dachte mir, ich kann dir das, was für dich von Interesse ist, ebenso gut hinterher erzählen, um ...“
„Das, was für mich von Interesse ist, Lydia? Zum Beispiel, dass du einen ganzen Monat weiter bist, als du behauptet hast? Ja? Dass ich nicht zu Hause war, als du schwanger geworden bist? Ja?“
Er schrie jetzt und kam auf sie zu. Sie wich zurück, aber hinter ihr stand der Tisch, und sie saß in der Falle. Er verpasste ihr eineharte Ohrfeige. Dann legte er die
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