Das Haus in Georgetown
die aus einem Secondhand-Verkauf für Damen der besseren Gesellschaft zu stammen schienen: teure Marken, aber alles so dezent, dass sie vor jedem Hintergrund quasi unsichtbar wurden. Solche Kleidung suchte Faith auch für Remy aus, und bisher hatte Remy das nicht gestört. „Meinst du wirklich?“
„Hey, du gehörst zu mir. Du kannst alles tun, wozu du verdammt noch mal Lust hast.“
Du gehörst zu mir. Sie war mit jemandem zusammen. Mit Enzio. Da sie sich zehn Jahre älter und zehn Pfund leichter fühlte, nahm sie den Bügel und stiefelte los, um eine Umkleidekabine zu finden.
Seit sie von Pavel zum Dinner eingeladen worden war, hatte Faith sich den Kopf zerbrochen, was sie anziehen sollte. Sie hatte sich nie sonderlich für Mode interessiert. Für Ausgefallenes war sie zu zierlich, für kräftige Farben zu blond, für viel blanke Haut zu konservativ. In ihren Zwanzigern hatte sie sich auf Pastell- und Grautöne und klassischen Schick eingeschossen. Sie mochte den Stil von Queen Elizabeth, obwohl sie natürlich niemals Blumenhüte tragen würde.
Und jetzt, nachdem sie geduscht hatte, stand sie vor dem Kleiderschrank und begutachtete die beiden Kandidaten, die in die engere Wahl gekommen waren. Die konservativere Lösung bestand in einem marineblauen Prinzessinnenkleid mit roten Paspeln. Sie hatte gute rote Schuhe, ein passendes Handtäschchen und die Perlen ihrer Großmutter Millicent. Für den Fall, dass im Restaurant die Klimaanlage auf Hochtouren lief, konnte sie ein rotes Leinenjackett darüber tragen.
Die Alternative war ein lachsfarbenes Top unter einem grauen Hosenanzug. Der Anzug hatte schmale Streifen in demselben Lachston, und sie konnte ihre grauen Sandalen dazu anziehen. Das Top schien ein bisschen gewagt. Sie hatte keinen BH, dessen Träger schmaler als die des Tops waren, aber eigentlich brauchte sie auch gar keinen. Doch welche Botschaft strahlte sie mit dem Top aus? Sie würde nicht gerade einen großen Reibach an der Straßenecke machen können, aber trotzdem: Welchen Schluss würde Pavel ziehen, wenn er ihre entblößten Schultern sah?
Sie war ein siebenunddreißigjähriger Grufti.
Sie entschied sich für das Top – und dafür, das Jäckchen bei absolut jeder Temperatur anzubehalten.
Remy kam nach Hause, rief einen kurzen Gruß und ging gleich ins Esszimmer. Alex hatte schon früher zu Abend gegessen. DieAussicht, den Abend im Haus seiner Großeltern zu verbringen, bereitete ihm wenig Freude, aber Lydia hatte versprochen, dass er auf dem Weg nach Great Falls eine DVD ausleihen durfte. Er hatte sich schon für „X-Men“ entschieden, dessen Handlung – mutierte Jugendliche lernen, ihre außergewöhnlichen Kräfte zu beherrschen – ihn ungemein ansprach. Wenn seine Großmutter sich diesen Film bis zum Ende mit anguckte, würde sie in Alex’ Ansehen ungemein steigen.
Lydia traf ein und kam die Treppe hoch, um ihre Tochter zu begrüßen. Faith befestigte gerade ihre goldenen Ohrstecker, und Lydia setzte sich aufs Bett und schaute ihr zu.
„Du solltest dir die Haare schneiden lassen“, sagte sie. „Nicht kurz. Lass es nur in Form bringen und stufig schneiden.“
„Ich sehe aus, wie aus der letztjährigen ,Vogue‘ entsprungen, was?“
„Eher wie ein Model aus der ,Vogue‘ von vor zehn Jahren.“
Faith blickte zu ihrer Mutter hinüber und entdeckte, dass sie lächelte. „Na, danke schön. Du tust was für mein Selbstbewusstsein.“
„Du bist nicht einmal vierzig und außerdem hübsch und schlank.“ Sie machte eine Kunstpause. „Und du musst nicht mehr all die frommen Christinnen Amerikas repräsentieren – und auch nicht den rechten Flügel der Demokraten. Du kannst einfach du selbst sein.“
Faith konzentrierte sich darauf, den zweiten Ohrstecker zu befestigen. „Ich kann ich selbst sein, hm?“
„Genau.“
„Das Problem ist nur: Das war ich.“
„Du musst dich neu erfinden.“
Als ihre Mutter gegangen war, bürstete Faith ihre unmodischePagenfrisur und fragte sich, ob Lydia etwas wusste, von dem sie keine Ahnung hatte. Vielleicht war dieser Abend der erste Schritt auf dem Weg zu ihrem neuen, besseren Selbst.
Um halb sieben brach sie auf. Sie hatte bequeme Schuhe angezogen und trug die Sandalen sowie eine Gemüsepastete, die sie bei „Dean and Deluca“ auf der M Street gekauft hatte, in der Hand. Sie ließ sich Zeit, genoss das abendliche Nachlassen der Hitze, das Leben und die Geräusche auf den Straßen und ihres neuen Viertels. Obwohl noch immer
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