Das Haus in Georgetown
entdecken. Das Kind, das niemanden geschlagen und nicht mit schrecklichen Schimpfwörtern um sich geworfen hat. Das noch wusste, wie man anderen ihre Fehler vergibt.“
„Fehler? Was er getan hat, war schon ein ziemlich dicker Hund, nicht?“
„Es wird Zeit, dass du nicht nur um dich selbst kreist. Du bist hier nicht allein. Du bist eine von vier Personen in dieser Familie.“
„Er gehört nicht mehr dazu. Ihr lasst euch scheiden.“
„David Bronson wird immer dein Vater bleiben. Und zwischen deinem Vater und mir wird durch Alex und dich immer eine Verbindung bestehen, und durch alles, was wir in unserer Ehe gemeinsam erlebt haben. Unsere Familie hat sich verändert, aber wir gehören noch immer zusammen.“
„Du hast auf alles eine Antwort parat. Als ob du dauernd in so einem blöden Buch über Teenager und Scheidung liest und das dann runterbetest.“
Faith konnte sich nicht entscheiden, ob sie lächeln oder böse gucken sollte. „Weißt du, Schatz, ich wünschte, jemand würde dieses Buch schreiben. Ich könnte Rat gebrauchen.“
Remy fühlte, wie ihr die Luft ausging. Ihre Wut wollte nicht wieder auflodern; offenbar war der Vorrat begrenzt, und sie hatteihr heutiges Kontingent verbraucht. So wie sie einen Augenblick lang Mitleid mit ihrem Vater verspürt hatte, bedauerte sie jetzt eine volle Minute die Lage ihrer armen Mutter.
Schließlich schüttelte Remy den Kopf. „Ich war so wütend. Ich hatte nicht vor, ihn zu schlagen. Aber als er mich angefasst hat, bin ich ausgerastet. Ich will es dir und Alex doch nicht noch schwerer machen.“
Faith wirkte erleichtert. Remy nahm an, dass sie die Zauberworte diesmal ernsthaft genug vorgetragen hatte, um ihre Mutter zufrieden zu stellen.
„Ich erteile dir keinen Stubenarrest“, antwortete Faith. „Aber es darf nie wieder vorkommen, Remy.“
„Er hat mir fest versprochen, dass er mich ab jetzt in Ruhe lässt.“
„Es fällt ihm entsetzlich schwer, dir mehr Zeit zu lassen. Er braucht seine Tochter. Das ist eine schwarze Stunde im Leben deines Vaters.“
„Ach ja? Vielleicht hätte er sich diese ganze Homosexualitätskiste vorher mal überlegen sollen.“
„Ich vermute, das hat er.“
„Ich möchte ein bisschen an die frische Luft.“ Remy stand auf.
„Vielleicht gehe ich zu Billie rüber.“
„Ich weiß nicht, ich ...“
„Also bin ich hier doch im Knast? Du musst es nur sagen, dann krieche ich zu dieser dämlichen Ratte in den Käfig. Dann habe ich wenigstens Gesellschaft. In McLean konnte ich spazieren gehen, wann immer ich wollte. Aber wenn sich das geändert hat, wie alles andere, dann teile es mir mit, okay?“
Faith schien hin- und hergerissen zu sein. Sie hatte ihre Gefühle noch nie gut verbergen können, und diese Tatsache machte sichRemy zu Nutze. „Wenn Georgetown so gefährlich ist, sollten wir nicht hier leben, oder?“
„Bitte bleib nicht lange weg, okay?“
Remy hatte ihrer Mutter Billies Telefonnummer gegeben. Vor ein paar Wochen hatte Faith mit Billies Mutter gesprochen, um herauszufinden, ob es dieser recht war, wenn Remy ab und zu nachmittags dort auftauchte. Billies Mom, die zwei Jobs nachging, hatte auf Faith offenbar einen guten Eindruck gemacht; Remy war ihr noch nie begegnet.
„Wenn ich Billie besuche, kann ich eine Stunde bleiben?“
„Ich denke schon.“
„Gut.“ Remy lief zur Tür.
„Zum Abendessen besorge ich Hühnchen und den Bohnensalat, den du so gerne magst. Aber du musst um halb sechs hier sein. Vergiss nicht, dass ich eine Verabredung habe. Deine Großmutter holt euch um sechs ab.“
David hatte ihr ein Eis kaufen wollen. Jetzt versuchte Faith sie mit Bohnensalat zu ködern. Remy kam es so vor, als würden ihre Eltern total hinter dem Mond leben.
Sie ging bis zur Wisconsin Avenue und bog dann links ab, um zu „Lawford’s“ zu gelangen, dem Klamottenladen, in dem Enzio arbeitete. Sie wusste, dass er freitags die Nachmittagsschicht hatte, weil sie ihn letzte Woche hier getroffen hatte.
Billie Wolfgard ging auf Remys Schule und saß mit ihr im selben Naturwissenschaftskurs. Sie war zwei Jahre älter als Remy, da sie zweimal sitzen geblieben war. Billie hasste Hausaufgaben – einer der Gründe dafür, dass sie noch immer die achte Klasse besuchte. Remy tat dieses Jahr selbst nicht viel, aber die naturwissenschaftlichen Aufgaben fielen ihr leicht, und sie schaute jeden Morgen kurz bei Billie vorbei, damit diese die Lösungen abschreibenkonnte. Remy hatte Alex das Versprechen abgenommen,
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