Das Haus mit der grünen Tür
für eins: sein eigenes Leben. »Injektionsmale«, sagte der Arzt.
12
Muus stand mit dem Rücken zu mir. Er sagte etwas zu dem Arzt, aber ich verstand nicht, was. Dann verstummte er. Er beugte sich ein wenig vor und sah auf die Tote. Langsam schüttelte er den Kopf. Dann richtete er sich auf. Er drehte sich um, langsam, als hätte er schon im Gefühl, was er zu sehen bekommen würde. Das erste, was er sah, war ich.
Unsere Blicke verkeilten sich ineinander wie zwei Ringer beim Angriff. Wir standen da und starrten einander eine lange, tote Sekunde lang an.
Das erste Zeichen von Leben war die Zigarre. Sie vibrierte heftig, als klappere er mit den Zähnen. Die Zigarre sah völlig tot aus, aber ein Funke oder auch zwei sprangen doch auf die Augen über, in denen eine blaue Gasflamme aufflackerte. Das setzte ihn in Bewegung, und er bahnte sich einen Weg zu mir.
Muus war kein Leichtgewicht, und seine Hände standen in angemessenem Verhältnis zum übrigen Körper. Es war nicht gerade angenehm, von seinem stumpfen Zeigefinger auf die Brust gestoßen zu werden. Und während des größten Teils der nun folgenden Unterhaltung stieß er mich damit auf die Brust.
»Solltest du nicht draußen bleiben?«
»Ja.«
»Bist du draußen geblieben?«
»Nein.«
»Bist du dir darüber im klaren, was das Gesetz dazu sagt?«
»Ja.«
»Bist du dir im klaren darüber, daß das eine verdammt unangenehme Geschichte für dich werden kann?«
»Nein.«
»Waass?!« fauchte er.
»Nein. Ich hab Informationen.«
»Ich bin nicht schwerhörig und auch nicht vergeßlich. Spar dir die Mühe, Veum. Ich hab gehört, was du vorhin gesagt hast. Ich hab gehört, daß du sagtest, du hättest Informationen. Aber es war mir ziemlich egal.« Ich hatte wahrscheinlich schon einen hübschen, kleinen blauen Fleck auf der Brust, von der Größe der Spitze seines Zeigefingers (wie eine mittelgroße Pflaume), und er wurde nicht weniger blau dadurch, daß er wiederholte: »Aber – es – war – mir – ziemlich – egal!« Die Worte kamen mit kurzen Abständen, und für jedes gab er mir einen Extrastoß mit dem Zeigefinger. Die ständigen Stöße hatten mich so weit zurückgeschubst, daß ich fast aus der Garage heraus war. Die Gruppe um den Wagen stand unbeweglich da und sah uns nach. Nur Andersen machte Anstalten, uns zu folgen.
»Ich hab Informationen über – sie.« Ich nickte zum Wagen hin.
Er hörte nicht auf, mich mit dem Zeigefinger zu bearbeiten, aber er sagte jedenfalls nichts. Er sah mich nur abwartend an.
»Wann ist sie gestorben?« fragte ich.
»Ich dachte, du hättest Informationen für uns«, kläffte er.
»Ich kann erzählen, was sie gestern getan hat. Den ganzen Tag. Sie war diese Woche mein Auftrag. Diesen Monat. Ich sie hab beschattet.«
Der Zeigefinger hielt mitten in einer Bewegung inne. Muus starrte mich an. Er schloß die Augen. Er öffnete sie wieder. Dann legte er seine zwei Riesenpranken schwer auf meine Brust und gab mir einen letzten, abschließenden Puff, zur Tür hinaus. Er kam hinterher. »Was hat sie gemacht?« sagte er.
Die Luft war klar, sauber und frisch, und ich holte so tief Atem, wie ich es konnte, ohne daß mir schwindelig wurde. »Ich hab sie beschattet«, sagte ich. Das klang wie ein Geständnis, auch in meinen eigenen Ohren.
Der Anflug eines Lächelns huschte über seine häßlichen Lippen. Dann drehte er sich zu Andersen um, der direkt hinter uns in der Türöffnung aufgetaucht war. Muus sagte: »Paß auf diesen Vogel hier auf. Paß auf ihn auf! Stell dich auf seine Zehen, wenn’s sein muß. Aber gib ihm keine Chance abzuhauen. Er kommt sich vor wie die Gebrüder Grimm persönlich. Er hat uns einen ganzen Haufen Märchen zu erzählen. Auf der Wache.« Damit verschwand er wieder in der Garage, ohne mich eines Blickes zu würdigen.
Andersen sah schuldbewußt drein. Ich versuchte, ihn zu trösten. »Laß gut sein«, sagte ich. »Du kannst nichts für deine Chefs.«
»Nein«, sagte Andersen, aber er sah nicht viel fröhlicher aus.
Dann sagten wir eine lange Zeit nichts mehr. Ich hatte ein Chaos von Gedanken zu sortieren. Und er hatte wohl auch seine eigenen Sorgen. Es war ein wunderbarer Morgen gewesen: ein schöner Tag, um zu sterben. Ein schöner Tag.
13
Sie kam den Weg vom Haus herunter, von einem Wachtmeister begleitet. Der Wachtmeister sah aus, als hätte er Angst, sie könne jeden Augenblick umfallen.
Sie schien tatsächlich nicht gerade in guter Verfassung zu sein. Aber sie ging allein und ohne
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