Das Haus mit der grünen Tür
hastete vorbei. Ein Taxi hielt, und es stieg eine ältere Dame aus, die eine halbe Stunde brauchte, um den Schlüssel zu ihrer Haustür zu finden.
Ich holte mein Butterbrot heraus. Ich schmierte mir jeden Morgen einen großen Haufen Brote, wenn ich Jobs wie diesen hatte. Jetzt mußten die letzten Scheiben dran glauben: Honig und Ziegenkäse. Ich griff nach der Thermoskanne mit heißem Tee, der mittlerweile lauwarum geworden war, und trank den letzten Schluck. Ich holte einen Kugelschreiber heraus und zeichnete ein Gesicht in mein Notizbuch. Erst war es eine Frau, mit langem, welligem Haar. Aber die Gesichtszüge waren zu grob. Also wurde es ein Mann. Aber er war zu feminin mit diesen Haaren. Ich zeichnete einen Vollbart. Er sah aus wie ein klapperdürrer Wikinger. Ich zeichnete ihm eine Brille, um ihn in unsere Zeit zu versetzen. Schließlich malte ich ihm eine dunkle Hautfarbe und eine Nationalität von irgendwo aus der Nähe des Äquators. Als ich fertig war, riß ich die Seite heraus, knüllte das Meisterwerk zusammen und ließ es auf den Boden des Wagens fallen.
So verging die Zeit.
Präzise um acht kam der rote Kadett wieder aus der Einfahrt gerollt, und ich warf den Motor an.
An diesem Abend fuhr sie nicht direkt nach Hause. Sie machte eine kleine Runde durchs Zentrum, und um halb neun parkte sie am Bordstein vor dem Haus, in dem Anwalt Moberg sein Büro hatte. Sie blieb im Wagen sitzen, und nach wenigen Minuten kam Moberg heraus. Er war in Hut und Mantel und trug eine düster aussehende Aktenmappe unter dem Arm. Er setzte sich in den Wagen, und sie startete.
Sie fuhren aus der Stadt hinaus, nicht in Richtung Natland Terrasse, sondern auf die Hauptstraße nach Paradis. Sie passierten Paradis, die Hopsbrücke, Nesttun. Weiter hinaus in Richtung Stend und Fanafjell. Dort bogen sie ab, zum Flugplatz Flesland. Ich kam genau hinter ihnen zum Flugplatz, gerade rechtzeitig, um Moberg den Kofferraum des Wagens öffnen und einen Koffer herausnehmen zu sehen. Er küßte seine Frau leicht auf die Wange durch das heruntergekurbelte Autofenster und verschwand in der Abflughalle. Frau Moberg saß da und sah ihm nach, bis er verschwunden war. Dann startete sie den Wagen und fuhr zurück in Richtung Stadt. Ich zögerte einen Augenblick. Ich warf Moberg einen langen Blick nach, aber mein Job war seine Frau, nicht er. Also fuhr ich los und folgte pflichtbewußt dem roten Wagen. Jetzt fuhr sie direkt nach Hause, über Birkelundsbakken zur Natland Terrasse. Sie fuhr den Wagen rückwärts in die Garage, das Garagentor schwang zu, sie kam aus der Seitentür heraus und ging zum Haus hinauf.
Ich saß da und betrachtete das Haus. Es war wohl ungefähr halb neun. Nach einer Weile begann der blaue Schein eines Fernsehers hinter dem Wohnzimmerfenster zu flackern – wie der Widerschein eines blutarmen Kaminfeuers.
Nichts geschah. Kein Stein Wang tauchte auf. Es tauchte überhaupt niemand auf. Frau Moberg bewegte sich ab und zu an dem großen Fenster dort oben vorbei. Gegen halb elf ging das Licht aus, zuerst im Wohnzimmer, später in ein paar anderen Fenstern. Um zwölf Uhr war es schon eine Stunde lang dunkel gewesen. Nichts war passiert. Nichts. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich enttäuscht. Irgendwie hatte ich mehr erwartet. Ich fuhr nach Hause und ging in die Koje. Die Aquavitflasche ließ ich spüren, daß wir zerstritten waren: Ich rührte sie nicht an.
11
Am nächsten Tag waren die Wolken wie vom Himmel gewischt, und eine Sonne, die den Horizont noch nicht erreicht hatte, sandte einen goldenen Schein den frischgewaschenen Himmel hinauf. Und das sollte nicht der einzige Schock bleiben, den dieser Tag zu bieten hatte.
Ich summte, während ich mich rasierte – erst auf der Schattenseite, dann auf der Kundenseite. Ich bin mit einem Janus-Gesicht geboren, was hauptsächlich auf die Zahnstellung zurückzuführen ist. Wenn ich mit der Kundenseite lächle, sehe ich durchschnittlich und anonym aus, wie ein Detektiv aussehen soll. Wie einer, dem du im Bus gegenübersitzt und dessen Gesicht du schon vergessen hast, noch bevor du an der Schnur ziehst, um wieder auszusteigen. Wenn du ihn überhaupt bemerkt hast. Ich stand ganz vorn in der Schlange, als das Mittelmaß verteilt wurde. Aber wenn ich mit der Schattenseite lächle, dann kann man mich als Kinderschreck verwenden. Die Zahnstellung läßt meine Zähne wie messerscharfe Tierzähne aussehen. Das ist der Grund, warum mein Lächeln schief ist: Auf der Kundenseite geht der
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