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Das Haus mit der grünen Tür

Das Haus mit der grünen Tür

Titel: Das Haus mit der grünen Tür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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derselben Straße im Zentrum wie vorher. Er fragte, wann. Ich sah in mein Notizbuch. »Sie kam genau um 18.12 Uhr an. Und verließ das Haus um genau 20.00 Uhr.«
    »Fast zwei Stunden«, brummte Muus. »Zeit für ein paar Nummern. Wenn nicht ihr Kerl zu denen gehört, die spät zum Schuß kommen. Und wenn sie einen Kerl hatte«, fügte er hinzu, während er mich mißtrauisch anstarrte.
    Ich erzählte, wie sie um 20.23 Uhr Moberg aufgelesen und ihn nach Flesland gefahren und sich da um 20.55 von ihm verabschiedet hatte, und wie sie um 21.30 auf der Natland Terrasse angekommen war, Punkt. »Der Rest ist Schweigen«, sagte ich. »Sie machte um 23.05 Uhr das Licht aus. Ich fuhr gegen Mitternacht nach Hause.« Ich zuckte mit den Schultern.
    »Gute Nacht, holder Prinz«, sagte Andersen, völlig unvermittelt. Wir hatten das gleiche Buch gelesen.
    »Und in der Zwischenzeit hast du sie ermordet«, sagte Muus, ohne mit der Wimper zu zucken.

15
    »Soll das ein Witz sein?« fragte ich.
    Muus und Andersen starrten mich an, ohne etwas zu sagen. Die Sekunden schleppten sich dahin, als hätten sie Zementsäcke auf dem Rücken. Endlich sagte Muus: »Es klingt so. Vorläufig.«
    Ich sagte: »Gib mir einen guten Grund …«
    Muus hob die rechte Hand zu einem beschwichtigenden Indianergruß. »Spar dir deine Entschuldigungen, bis du sie wirklich nötig hast. Du hast nicht die Absicht, in Herbstferien zu fahren, hoffe ich?«
    »Ich bleibe in der Stadt«, sagte ich, »wenn du das meinst.«
    »Schlaues Bürschchen«, sagte Muus, zu Andersen. Sein Blick wanderte wieder zu mir, wo er eine Weile haltmachte. Dann verscheuchte er mit der einen Patschhand eine imaginäre Fliege. »Verdufte«, sagte er.
    Ich verduftete.
    Draußen auf der Treppe vor der Polizeiwache blieb ich im Schatten stehen und schauderte. Dann schlug ich den Mantelkragen hoch und trat in die Sonne hinaus.
    Ich ging eine Weile ziellos umher.
    Eine Reihe zusammenhangloser Bilder, Gedanken und Assoziationen flimmerten vorbei. Eine rothaarige Frau, tot, in einem roten Auto. Ein Arm mit Narben von Nadelstichen. Ein sportlicher Anwalt, der sich allem Anschein nach in Stavanger aufhielt, als der Mord geschah. Eine aufgelöste Sekretärin, die sich zu einem äußerst passenden Zeitpunkt im Haus des Anwalts eingefunden hatte, am frühen Morgen eines Arbeitstages. Eine Wohnung mit einem Mieter ohne Gesicht, vorläufig bewacht von einer Furie mit Karatehänden und der schärfsten Zunge seit Aase Lionnæs. Ein Auftraggeber mit einem akuten Widerwillen dagegen, beschattet zu werden. Ein Auftraggeber, der sich in Luft auflöste, mitsamt seinem Ålesund-Dialekt und allem anderen.
    Und eine dunkelhaarige Frau mit Umhängetasche und Auto.
    Die Autonummer war ungefähr das einzige, woran ich mich halten konnte, vorläufig. Sie – und Ragnar Veide. Der gesagt hatte, daß ich ihn unter gar keinen Umständen anrufen sollte. Unter gar keinen Umständen.
    Ich beschloß, es zuerst mit der Autonummer zu versuchen.
    Es war ein außergewöhnlich schöner Tag. Wie der erste Frühlingstag, nur daß es November war.
    An einem ebenso schönen Tag, sechs Monate zuvor, war ich auch ziellos durch die Stadt gewandert. Ich ging mit den Händen in den Taschen, Sonne in den Augen und einem aufdringlichen Frühlingswind in den Haaren. Ich hatte an einem Fußgängerüberweg bei Bergens Bank gestanden. Oben auf Nygårdshøyden hatte der dunkelrote Turm der Johanniskirche seine grüne Spitze in den Himmel erhoben, der so blau war, wie er nur Anfang April in Norwegen sein kann. Ich hatte auf Grün gewartet. Als es grün wurde, entdeckte ich ein Gesicht auf der anderen Straßenseite. Es kam mir mit wiegendem Schritt entgegen, fast wie ein Traum, von weit her. Es war eine Frau. Sie war in meinem Alter, mit den ersten liebenswerten Falten im Gesicht. Sie trug ein halbes Lächeln auf den Lippen und eine große Sonnenbrille vor den Augen. Das blonde Haar wogte im Wind und wurde von der Sonne durchstrahlt. Sie war ganz in braun: eine kurze graubraune Pelzjacke, ein dunkelbrauner Rollkragenpullover, ein brauner Rock bis kurz unters Knie, wo er auf hohe, braune Stiefel traf. Einen Augenblick blieb ich stehen mit von Herzklopfen verschnürter Kehle. Aber sie ging an mir vorbei. Sie hatte mich nicht gesehen. Oder sie hatte mich nicht wiedererkannt. Eine Sekunde lang strich ich mir mit der Hand über Haar und Gesicht, wie um mich zu vergewissern, daß ich es war, der dort ging. Dann machte ich kehrt und folgte ihr. Ich

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