Das Haus mit der grünen Tür
zurückzuhelfen? Oder etwas anderes? Es gab zu viele unbeantwortete Fragen, zu viele lose Fäden. Fäden, die die Polizei meinte im Laufe der Nachuntersuchungen zusammenbringen zu können.
Kvam war tot. Von eigener Hand gestorben. Wahrscheinlich. Der Selbstmord war der endgültige, ausschlaggebende Beweis für seine Schuld. Er hatte es bereut – oder wahrscheinlicher: Er hatte geahnt, daß sich das Netz um ihn zusammenzog – und …
Von mir aus war es also Kvam, der Margrete Moberg umgebracht hatte.
Von mir aus hatte er sich also dann selbst umgebracht.
Von mir aus, dann war Varg Veum eben ein verdammter Skeptiker.
Die Polizei wußte es sicher am besten. Es war nichts mehr zu tun. Ich konnte einfach nach Hause gehen zu der Flasche und Rechnungen zählen. Und ich ging nach Hause, und ich trank. Aber ich fand keine Ruhe. Nicht eine Sekunde.
43
Am nächsten Morgen weckte mich der Wecker mit durchdringendem Zetern, und ich sprang sofort aus dem Bett. Es war Sonntag, und es war der zweite Vater-und-Sohn-Tag des Monats.
Ich schenkte mir das Rasieren, aber ich zog ein sauberes Hemd an. Draußen war es immer noch grau, wenn auch trocken, aber der Winter hatte seine kalten kleinen Visitenkarten in der Luft verstreut, wie düstere Vorwarnungen. Mein Auto war schon in der miesen Winterlaune, und ich mußte den Choke ziehen, um es in Gang zu bekommen.
Ich fuhr zum Sudmannsvei und stieg aus dem Wagen. Die Luft war auch hier beißend kalt, im Schatten des steilsten Hangs des Sandviksfjells, aber sie war nicht so feucht wie in meiner Gasse: Sie war frischer, mit einem Hauch von Meer. Der Sudmannsvei liegt direkt unterhalb von Fjellveien und so hoch über dem Verkehr auf dem Hellevei, daß die Häuser entsprechend teuer sind. Das Haus, in dem Thomas und Beate wohnten, war von spätblühenden Herbststräuchern umgeben, und ein paar blaßrosa Rosen klammerten sich an die kalkweiße Hauswand der Kelleretage. Es war ein Fertighaus, und Beates neuer Mann war Lehrer.
Ich klingelte. Thomas öffnete.
Er war in einem Alter, wo ich jedesmal, wenn ich ihn sah, das Gefühl hatte, er sei zehn Zentimeter gewachsen. Das hellblonde Haar hing ihm fast in die Augen, aber um die Ohren und im Nacken war es recht kurz. Er trug ein kariertes Baumwollhemd, und ich konnte am Hals sein weißes Unterhemd sehen. Die blaue Jeans war frisch gewaschen und steif. Er sah aus wie ein James Dean in Kleinformat.
Er sah mich an mit dem starren, merkwürdigen Gesichtsausdruck, den er bei solchen Anlässen hatte. Seine Augen sehen mich gleichsam an, ohne mich zu sehen, und der Mund formt sich zu einem Lächeln, aber es ist eine Anstrengung, kein Zeichen von Freude.
Er sagte: »Hei« und stand mit dem einen Fuß zögernd hinter dem anderen.
Ich hockte mich auf die Treppe des fremden Mannes und griff meinem Sohn um die Oberarme. »Hei!« sagte ich und versuchte seinen Blick festzuhalten.
Hinter ihm raschelte etwas. Ich sah auf. Es war Beate. Sie sagte: »Geh du rein zu – Lasse – und iß dein Frühstück auf, Thomas, dann werd ich solange mit – Papa – reden.«
Er lief schnell hinein.
Beate war morgenfrisch, wie immer. Das buschige Haar hatte sie aus der Stirn gekämmt. Ich betrachtete sie: die schmale Nase, die nach unten hin flacher wurde und ein ganz klein bißchen vorsprang, die klaren, blauen Augen, dunkel wie nasse Kornblumen und klar wie geschliffenes Glas, der ungeschminkte Mund, der ebenso leicht lachte wie weinte, und die Haut mit dem frischen Wangenrot und den Schatten der letzten Sommersprossen noch immer als schwaches Muster auf dem Nasenrücken und in weichen Bogen unter den Augen.
Sie trug einen langen Frotteemorgenrock in einem Blau, das zu ihren Augen paßte. Ich wußte das, denn es war ihr Lieblingsblau. Der Hals ragte schlank und weiß aus dem Ausschnitt, und unten sah ich ein paar Zehennägel aus den Sandalen hervorschauen.
Sie sagte: »Na, Varg, wie geht’s?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Wie immer.« Meine Stimme war nicht ganz klar.
Ich sah, daß ihre Schultern steif und verspannt waren. Ich sagte: »Und dir?«
Sie zog den Morgenmantel am Hals mit der einen Hand ein wenig enger zu. »Mir geht es gut«, sagte sie.
»Und Thomas …«
»Geht es gut.«
Ich ging nicht in die Hocke, das war nicht nötig, aber ich tat das gleiche bei ihr wie bei Thomas. Ich griff um ihre Oberarme und sah ihr in die dunkelblauen Augen. Sie hing wie eine Stoffpuppe in meinen Armen, und ihre Augen waren Blumen: fern und unnahbar. Ich
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