Das Haus mit der grünen Tür
Ich sagte Beates neuem Mann auf Wiedersehen, und wir gingen zum Wagen hinunter. Ich legte eine Hand auf seine Schulter – eine bescheidene Zärtlichkeit. Wir gingen, ohne etwas zu sagen.
Auf dem Weg in die Stadt fragte ich ihn, was er gern machen würde. »Wollen wir ins Aquarium gehen?«
»Da waren wir doch letztes Mal«, sagte er.
Ich verdaute seine Antwort und fuhr fort: »Vielleicht ins zoologische Museum?«
»Na gut«, sagte er, im Tonfall eines Erwachsenen der einem kleinen Kind nachgibt.
Also gingen wir ins zoologische Museum. Wir gingen am Männerskelett und am Frauenskelett auf der Treppe vorbei, und Thomas studierte ebenso fasziniert wie immer den Unterschied.
Wir gingen unter all den Hörnern an den Wänden in den ersten Stock hinauf, und hinein zu den Säugetieren. Das schwere Gorillamännchen stand vorgebeugt da und starrte all seine entfernten Verwandten an, ohne eine Miene zu verziehen. Die Löwin zeigte ihre Zähne, die Fuchsjungen tummelten sich in erstarrtem Spiel: Alles war wie immer, nichts hatte sich verändert.
Wir sahen uns den struppigen grauen Wolf an, und ich dachte über das Tier nach, von dem ich meinen Namen hatte. Es gab Wölfe, die im Rudel jagten, andere, die allein jagten. Ich jagte allein.
Ich erinnerte mich an die Male, die ich selbst mit meinem Vater hiergewesen war, einem Mann, der zu einer Zeit, als es noch Straßenbahnen gab, Straßenbahnschaffner gewesen war und der starb, bevor die letzte ihre letzten Passagiere einlud und zur Endstation fuhr, zum allerletzten Mal. Ein kleiner, rundlicher Mann mit einer strengen Nase und einem lebhaften Mund, ein Mann, der sich in seiner Freizeit mit altnordischer Mythologie und Geschichte befaßte, und der sich eine Tochter gewünscht hatte, aber einen Sohn bekam. Ein Mann, der seinem Sohn einen Namen gegeben hatte, den er das ganze Leben mit sich herumtragen sollte, auch als der Mann längst vergessen hatte, daß er sich einst eine Tochter gewünscht hatte, einen Namen, der ihm aufgrund der bitteren Ironie eines Einfalls immer erzählen würde, daß er als Varg i Veum geboren war und als Varg i Veum durchs Leben gehen sollte. Als der Mann, der mein Vater gewesen war, vergessen hatte, daß er sich einst eine Tochter gewünscht hatte, hatte er mich mit ins zoologische Museum genommen und von den Tieren erzählt. Wir waren langsam von Tier zu Tier gegangen, und es hatte uns mehrere Sonntage gekostet, durch die ganze Sammlung zu kommen. Ich hatte das gleiche mit Thomas versucht, aber er war ungeduldiger als ich es gewesen war – oder ich war ein schlechterer Erzähler als der Straßenbahnschaffner, der in seiner Freizeit altnordische Mythologie und Geschichte studiert hatte.
Hinterher schlug ich vor, in ein Café zu gehen und Kuchen zu essen und Limonade und Kaffee zu trinken. Thomas war einverstanden, nicht mit der Begeisterung, die seinem Alter am besten zu Gesicht gestanden hätte, sondern mit einer weltgewandten Süffisance, bei der mir unwohl wurde.
Über dem Kuchen sah er mich mit seinen großen, blauen Augen an. Zum ersten Mal an diesem Tag sah er mich direkt an und sagte: »Er – Lasse – sagt, ich soll anfangen, ihn Papa zu nennen …« Er aß ein wenig weiter. »Was hältst du davon?« fuhr er fort.
Ich schluckte das Stück, das ich im Mund hatte, herunter. »Ich …«, begann ich. »Das – das mußt du machen, wie du selbst – willst«, antwortete ich.
Er nickte mit nachdenklichem Gesicht, als hätte er noch keine Entscheidung getroffen.
Dann gingen wir doch ins Aquarium.
Die Fische schwammen schläfrig im stillstehenden Wasser herum und starrten leer zu uns hinaus, als wir vorbeigingen und sie betrachteten. Thomas und ich bewegten uns durch den halbdunklen, einschläfernden Raum, genau wie die Fische, und wir atmeten tief auf, als wir wieder draußen waren.
Wir aßen in einem anderen Lokal, und dann drehten wir noch eine Runde mit dem Wagen, bevor wir ins Kino gingen. Es war ein Dick-und-Doof-Verschnitt, und ich lachte ein paarmal so laut, daß die Kinder in der Reihe vor uns sich umdrehten und mich ansahen. Thomas lachte nicht, und als wir hinausgingen, ging er fünf, sechs Schritte vor mir und tat, als ob er mich nicht kannte.
Dann fuhr ich ihn wieder nach Hause. Ich tätschelte ihm den Kopf und nahm ihn schnell kurz in den Arm, bevor er hineinging, um sich im Fernsehen die Kinderstunde anzusehen.
Der Lehrer öffnete die Tür. Er hatte sich die Tintenflecken von den Fingern gewaschen und trug einen
Weitere Kostenlose Bücher