Das Haus Zeor
nicht jetzt sofort getroffen werden muß.“
„Doch, das muß sie, und sie muß mit aller Ernsthaftigkeit getroffen werden. Dies“, sagte er, wobei er mit einem würdevollen Tentakel auf die Folio-Mappe wies, „gibt mir eine Idee.“
„Und welche?“
„Es wird nur klappen, wenn du eine ganz bestimmte Haltung mir gegenüber einnimmst. Aber diese Haltung muß echt sein … eine, bei der du unter Streß nicht aus der Rolle fällst.“
„Ich habe bisher noch keine Tarnung hochgehen lassen.“
„Doch, hast du, während Hrels Feier. Du vergißt, Simes verstehen Empfindungen so deutlich wie Worte.“
Valleroy dachte darüber nach. Er war ärgerlich gewesen, als die Tarnung alles andere als Ärger erfordert hatte. „Was für eine Haltung?“
„Die eines Mitglieds meines Haushalts. Die eines loyalen Spenders, der alles tun würde, – alles –, um dafür zu sorgen, daß ich nie die Not erleide.“
„Das ist viel verlangt.“
„Es ist eine sehr persönliche Bindung, aber keine ungewöhnliche, wenn du dir darüber im klaren bist, daß die Kanäle alles sind, was zwischen dir und dem Tod steht. Versetze dich an die Stelle unseres normalen Gen-Neulings … Wochen, vielleicht Monate in den Pferchen – und die Pferche sind so furchtbar, wie das Gerücht sie zeichnet. Schließlich, eines Tages, zieht dich der Aufseher aus dieser Pein heraus. Du bekommst deine erste Dusche seit Wochen, deine ersten sauberen Kleider seit einem Jahr, aber du kannst dich nicht darüber freuen. Noch in dieser Stunde bist du verloren. Aber die Behandlung in den Pferchen ist so, daß die Opfer den Tod fast willkommen heißen.
Jetzt stell dir vor, wie du dich fühlen würdest, wenn du entdecktest, daß es dein Schicksal wäre, mein Spender, mein Eigentum zu sein. Obwohl ich ein Kanal bin, ein dreckiger Perverser, habe ich noch immer einmal im Monat Anrecht auf einen Spender aus den Pferchen. Ich hole so oft einen ab, wie Zeors Platz dies erlaubt. Aber viele sterben jedes Jahr, weil nicht ich es war, der sie wählte. Wie würdest du über mich denken, wenn du ausgewählt worden wärst?“
„Ganz gleich wie verängstigt ich wäre“, sagte Valleroy nachdenklich, „du würdest mich nicht verletzen?“
„Ich habe nie jemanden versehentlich verletzt. Ich kann garantieren, daß ich dir nie wieder weh tun werde.“
Valleroy überlegte. „Zweihundert Simes aus Zeor töten pro Jahr über zweitausend meiner Leute nicht mehr. Ich schätze, ich schulde Zeor eine ganze Menge … wenn die Zeit kommt.“
„Wenn du als mein Gefährte mit mir reist, können wir zur Auswahl-Auktion gehen. Vielleicht werden wir Aisha dort finden. Wenn ja, kaufe ich sie, und die Sache ist erledigt.“
„Gefährte! Wie kommst du auf den Gedanken, ich könnte mich als Gefährten ausgeben? Ich bin ein Nichts, verglichen mit Denrau!“
„Denrau ist außergewöhnlich. Du bist gut genug.“
„Das ist lächerlich. Ich bin nicht einmal ein gewöhnlicher Spender, ganz zu schweigen von einem, der der Not eines Kanals dient!“
Klyd stemmte seine Ellenbogen auf die Armlehnen seines Sessels, streckte die Finger aus, Tentakel woben einen komplizierten Tanz durch die Zwischenräume, während seine Blicke auf Valleroy verweilten. „Stimmt, noch bist du kein normaler Spender, aber am Ende, wenn du dich dafür entscheidest, kannst du ein besserer Gefährte sein als Denrau.“
„Woher weißt du das? Die bloße Vorstellung ängstigt …“
„Stellst du mein professionelles Urteil in Frage?“
Da lag genug Stolz in Klyds Tonfall, um Valleroy das Gefühl zu geben, er hätte die Rechtschaffenheit von ganz Zeor herabgewürdigt. „Natürlich nicht, Sectuib. Ich würde nicht einmal daran denken.“
Der Kanal nickte und fuhr fort, Muster um seine Finger zu flechten. „Für den Augenblick wird eine gute Tat reichen. Doch sie muß auf einer festen Entscheidung für Zeor beruhen!“
„Ich bezahle meine Schulden.“
„Dies wird mehr als das erfordern.“
Valleroy starrte auf die gegen die Seite seines Schreibtisches gelehnte Folio-Mappe. Er kannte den Entwurf im Innern dieser Mappe, und er wußte genau, was jede Linie symbolisierte. Zeor war ein Teil von ihm geworden, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Jetzt lag es an ihm, ein Teil Zeors zu werden, wenn auch nur eine Zeitlang.
Er richtete seine Augen auf den Kanal, dieses exotische Wesen, das sein Leben in einer dunklen, regnerischen Nacht verändert hatte. Hinter einem normalen Schreibtisch saß Klyd zwischen
Weitere Kostenlose Bücher