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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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ich sie zu mir hoch und küsste sie. Ich hielt sie fest in meinen Armen, und am liebsten hätte ich sie nie wieder losgelassen.
    Als wir seinerzeit in London angekommen waren, mieteten wir eine kleine Wohnung in Holborn, wobei wir das Pech hatten, Tür an Tür mit einem griesgrämigen Verwaltungsbeamten mittleren Alters zu wohnen, der Soja auf der Straße lüsterne Blicke zuwarf, während er mich mit Verachtung strafte. Bei den wenigen Gelegenheiten, die sich mir boten, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, reagierte er schroff, als genügte allein schon mein Akzent, um ihn davon zu überzeugen, dass ich seine Zeit nicht wert war.
    »Können Sie nicht was gegen dieses ständige Kindergeschrei unternehmen?«, blaffte er mich eines Morgens an, als ich unsere Haustür hinter mir schloss, und stellte sich mir in den Weg.
    »Guten Morgen, Mr Nevin«, erwiderte ich, fest entschlossen, trotz seines rüden Tonfalls höflich zu bleiben.
    »Ja, ja«, sagte er unwirsch. »Also, Ihre Tochter, die hält mich die ganze Nacht wach. Das geht auf keine Kuhhaut! Wann unternehmen Sie endlich was dagegen?«
    »Tut mir leid«, sagte ich, denn ich wollte ihn nicht noch mehr auf die Palme bringen – seine Wangen waren vor Wut bereits puterrot, und die dunklen Ringe unter seinen Augen zeugten unverkennbar von Schlafmangel. »Aber sie ist erst ein paar Wochen alt. Und«, fügte ich mit einem Lächeln hinzu, um an seine Menschlichkeit zu appellieren, »für meine Frau und mich ist das alles noch wahnsinnig neu. Aber wir geben unser Bestes.«
    »Nun, Ihr Bestes ist offensichtlich nicht genug, Mr Jackson«, fauchte er mich an und stieß mit einem knotigen Finger nach mir, der jedoch, zu seinem Glück, nicht mit meiner Brust in Kontakt kam – ich war ebenfalls völlig übernächtigt, und hätte er mich berührt, so wäre mir womöglich der Kragen geplatzt. »Ein Mensch braucht nun mal seinen Schlaf. Ich wohne hier seit …«
    »Mein Name ist Jatschmenew«, sagte ich leise, wobei ich spürte, wie allmählich die Wut in mir aufstieg.
    »Bitte?«
    »Mein Name«, erwiderte ich. »Ich heiße nicht Jackson, sondern Jatschmenew. Aber von mir aus können Sie mich auch Georgi Daniilowitsch nennen. Wir sind schließlich Nachbarn.«
    Er schwieg eine Weile und glotzte mich an, als fragte er sich, ob ich ihn provozieren wolle, doch dann machte er eine wegwerfende Geste und stapfte von dannen, wobei er noch ein paar fremdenfeindliche Bemerkungen machte, damit ich ihn ja nicht vergaß.
    Das Ganze blieb ein ständiges Ärgernis – der Mann war ein echtes Ekel, aber Soja und ich wollten es uns dennoch mit unseren Nachbarn nicht verderben. Einige Wochen später löste sich das Problem von selbst, als Mr Nevin in einem Koller auszog. Seine Wohnung wurde von einer Frau in den Mittvierzigern bezogen, einer Witwe namens Rachel Anderson. Und statt sich von unserer Tochter belästigt zu fühlen, fraß sie regelrecht einen Narren an ihr, eine Reaktion, mit der sie sich bei einem stolzen Elternpaar natürlich sehr beliebt machte, und so freundeten wir uns schnell mit ihr an.
    Sie sagte, sie würde gern für uns babysitten, und als unsere Freundschaft enger wurde und damit auch unser Vertrauen in sie wuchs, machten wir schließlich von ihrem Angebot Gebrauch. Sie war allein und einsam, das war nicht zu übersehen, und sie genoss es, die Großmutter für Arina zu spielen, in der sie womöglich einen Ersatz für die Kinder und Enkelkinder sah, die ihr versagt geblieben waren.
    »Was für ein Glück, dass Rachel Babys mag«, sagte ich zu Soja, als wir eines Abends zum Holborn Empire schlenderten, um endlich wieder einmal ein paar ungestörte romantische Stunden zu genießen. »Dem alten Nachbarn hätten wir Arina niemals anvertrauen können, oder?«
    »Nein, natürlich nicht«, sagte Soja, deren anfängliches Unbehagen angesichts einer so langen Abwesenheit von zu Hause praktisch in dem Moment verflogen war, als wir die Wohnung verlassen hatten. »Und du möchtest immer noch ins Kino, ja?«
    »Wir können auch woanders hingehen, wenn du willst«, erwiderte ich, denn für mich zählte vor allem, dass wir beide endlich einmal wieder etwas Zeit zu zweit verbringen konnten. Als ich gesehen hatte, was im Empire lief, hatte ich Soja diesen Vorschlag unterbreitet, ohne groß darüber nachzudenken, und sofort erkannt, dass dies entweder die beste Idee war, die ich jemals gehabt hatte, oder die schlechteste.
    »Nein, nein«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Ich hätte schon

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