Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
von oder zu ihrer Arbeit waren. Von meinem Fenster aus konnte ich die Spitzen der Saint-Pierre-de-Montmartre sehen, der Geburtsstätte des Jesuitenordens, und wenn ich mich weit hinauslehnte, konnte ich die Künstler beobachten, wie sie jeden Morgen ihre Staffeleien in ihren Straßenateliers aufstellten, in der Hoffnung, tagsüber genug Francs für ein bescheidenes Abendessen zu verdienen. Wir hatten nicht vorgehabt, uns mit so viel Religion zu umgeben, doch die Mieten im dix-huitième waren erschwinglich, und da es in diesem Stadtviertel bereits vor Flüchtlingen wimmelte, fielen zwei russische Emigranten wie wir dort nicht weiter auf.
Während jener Monate näherte sich der Krieg allmählich seinem Ende, und die beteiligten Mächte begannen, Waffenstillstandsverträge zu unterzeichnen, zunächst in Budapest, Prag und Zagreb, und dann schließlich auch in einem Eisenbahnwaggon in Compiègne, doch in den vorausgegangenen vier Jahren waren Zehntausende von europäischen Flüchtlingen in die französische Hauptstadt geströmt, Menschen, die vor den anrückenden Truppen des Kaisers aus ihren Heimatländern geflohen waren. Obwohl ihre Zahl bereits wieder abnahm, als wir in Paris eintrafen, war es für uns nicht schwer, so zu tun, als wären wir bloß zwei weitere Exilanten, die im Krieg nach Westen verschlagen worden waren, und niemand bezweifelte den Wahrheitsgehalt der Geschichte, die wir uns zurechtgelegt hatten.
Bevor wir in Paris eintrafen, nach einer strapaziösen, scheinbar endlosen Bahnfahrt, die in Minsk begonnen hatte, ging ich fälschlicherweise davon aus, dass Soja und ich dort als Mann und Frau zusammenleben würden. Diese Vorstellung war mir fast pausenlos durch den Kopf gegangen, als mein Geburtsland an mir vorüberglitt und dann durch Städte, Flüsse und Gebirgszüge abgelöst wurde, die ich bis dahin nur aus Büchern gekannt hatte – der Gedanke an ein solches Zusammenleben erregte mich, aber gleichzeitig hatte ich auch gewisse Hemmungen, ihn auszusprechen. Ich verbrachte einen Großteil der Reise damit, nach geeigneten Worten zu suchen, um dieses heikle Thema anschneiden zu können.
»Wir müssen uns nur eine kleine Wohnung nehmen«, schlug ich vor, als es noch fünfzehn Kilometer bis Paris waren, und dabei traute ich mich kaum, Soja anzuschauen, aus Angst, sie könnte merken, wie nervös ich war. »Ein Wohnbereich mit Kochnische. Ein kleines Badezimmer, wenn wir Glück haben. Und natürlich ein Schlafzimmer«, fügte ich hinzu, wobei ich schrecklich errötete, als ich die letzten Worte aussprach. Soja und ich hatten noch nie miteinander geschlafen, doch es war meine inbrünstige Hoffnung, dass uns unser Leben in Paris nicht nur Unabhängigkeit bescherte und einen Neuanfang, sondern auch eine Einführung in die Welt der sinnlichen Genüsse.
»Georgi«, sagte sie, wobei sie zu mir herüberschaute und den Kopf schüttelte. »Wir können nicht so zusammenleben, das weißt du doch. Wir sind nicht verheiratet.«
»Ja, natürlich«, erwiderte ich, wobei mein Mund so trocken war, dass mir die Zunge unangenehm am Gaumen klebte. »Aber für uns hat ein neuer Lebensabschnitt angefangen, nicht wahr? Wir kennen hier niemanden, wir haben nur uns beide, und da dachte ich mir, wir könnten vielleicht …«
»Nein, Georgi«, sagte sie entschieden, wobei sie sich sanft auf die Unterlippe biss. »Das nicht. Noch nicht. Ich kann nicht.«
»Dann … dann lass uns einfach heiraten«, schlug ich vor, überrascht, dass ich nicht schon früher auf diese Idee gekommen war. »Ja, natürlich, das ist das, was ich die ganze Zeit über gemeint habe. Wir werden Mann und Frau!«
Soja starrte mich an, und zum ersten Mal, seit sie mir vor einer Woche in die Arme gefallen war, lachte sie schallend und verdrehte dabei die Augen – nicht um anzudeuten, dass ich ein Dummkopf wäre, sondern wegen der Dummheit meines Vorschlags.
»Georgi, hast du mir gerade einen Heiratsantrag gemacht?«, fragte sie.
»Ja, das habe ich«, erwiderte ich mit einem strahlenden Gesicht. »Ich möchte, dass du meine Frau wirst.« Ich versuchte, vor ihr niederzuknien, wie es die Tradition verlangte, doch zwischen den Sitzbänken des Eisenbahnabteils war es zu eng, um eine einigermaßen graziöse Haltung einnehmen zu können, und als ich es schließlich schaffte, mich auf einem Knie vor ihr niederzulassen, war ich gezwungen, meinen Kopf zur Seite zu drehen, um sie anschauen zu können. »Ich habe keinen Ring«, sagte ich. »Aber du hast mein Herz. Ich
Weitere Kostenlose Bücher