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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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anbieten.«
    »Und warum, wenn ich fragen darf?«
    »Weil sie immer gut zu mir gewesen sind.«
    »Das waren Tyrannen«, sagte er. »Du musst verrückt sein, wenn du mit denen zusammen sein möchtest.«
    »Ich will es trotzdem«, erwiderte ich leise. »Ist das möglich?«
    »Alles ist möglich«, sagte er mit einem Achselzucken. »Aber ich fürchte, du bist zu spät gekommen.«
    Mein Herzschlag setzte für eine Sekunde aus – ich musste mich beherrschen, damit ich ihn nicht beim Revers packte und so lange durchschüttelte, bis er mir verriet, wie ich seine Bemerkung zu verstehen hatte.
    »Zu spät?«, fragte ich vorsichtig. »Inwiefern?«
    »Na ja, sie sind nicht mehr hier«, sagte er. »Der Gouverneur ist wieder in seine Residenz eingezogen. Wenn du willst, kann ich ihn fragen, ob er dir eine Audienz gewährt.«
    »Nein danke«, sagte ich und schüttelte den Kopf. »Dazu besteht keine Veranlassung.« Am liebsten hätte ich mich auf den Boden gesetzt und mein Gesicht in den Händen vergraben. Würde diese Qual denn nie enden? Würden wir nie wiedervereint sein? »Ich … ich hatte gehofft, sie hier anzutreffen.«
    »Man hat sie an einen Ort gebracht, der nicht weit von hier entfernt ist«, sagte er. »Vielleicht triffst du sie ja dort an.«
    Ich schaute ihn voller Hoffnung an. »Nicht weit von hier entfernt?«, fragte ich. »Wo sind sie denn?«
    Er grinste und öffnete seine Hand, und ich wusste sofort, dass diese Information nicht billig sein würde. Ich fasste in meine Taschen und holte mein gesamtes Geld hervor. »Es gibt nichts zu verhandeln«, sagte ich, als ich ihm die Rubel überreichte. »Du kannst mich durchsuchen, wenn du willst, aber das ist alles was ich habe. Mehr habe ich nicht, ehrlich. Also bitte …«
    Er warf einen Blick auf seinen Handteller, zählte die Münzen und ließ sie in seiner Jackentasche verschwinden, doch bevor er ging, beugte er sich zu mir und flüsterte mir ein Wort ins Ohr.
    »Jekaterinburg.«
    Und so machte ich mich erneut auf den Weg, diesmal Richtung Südwesten, wobei ich irgendwie wusste, dass dies der letzte Abschnitt meiner Reise sein und ich Anastasia dort endlich wiedersehen würde. Die Dörfer, durch die ich unterwegs kam – Tawda, Tirinsk, Irbit – erinnerten mich ein wenig an Kaschin, und in einigen davon rastete ich zwischendurch, auch weil ich hoffte, mit den dort lebenden Bauern ins Gespräch zu kommen. Doch es war nutzlos, denn sie misstrauten mir offensichtlich und unterhielten sich nur widerwillig mit mir. Ich fragte mich, ob sie wussten, wer da vor mir durch ihre Dörfer gereist war und ob sie diese Reisenden vielleicht sogar mit eigenen Augen gesehen hatten. Falls es sich so verhalten hatte, verloren sie darüber jedoch kein Wort.
    Ich brauchte fast eine Woche, bis ich in Jekaterinburg eintraf.
    Hier wirkten die Einheimischen noch ängstlicher als die, die mir während meiner Reise begegnet waren, und ich war mir sicher, dass ich am Ziel war. Es dauerte nicht lange, bis ich jemanden gefunden hatte, der mir den richtigen Weg wies. Ein großes Haus am Stadtrand, das von Soldaten bewacht wurde.
    »Es gehört einem stinkreichen Kaufmann«, erklärte mir die einzige hilfsbereite Person, die mir über den Weg lief. »Die Bolschewiken haben es beschlagnahmt. Sie lassen niemanden hinein.«
    »Dieser Kaufmann?«, fragte ich. »Wo ist der jetzt?«
    »Der hat die Stadt verlassen. Sie haben ihn ausgezahlt. Sein Name war Ipatjew. Sie haben ihm sein Haus weggenommen. Wir Einheimischen nennen es noch immer das Ipatjew-Haus. Die Bolschewiken nennen es das Haus zur besonderen Verwendung.«
    Ich nickte und ging in die Richtung, die er mir gewiesen hatte.
    Sie würde dort sein, das wusste ich. Sie würden alle dort sein.

1919
    Es mag sich kurios oder altmodisch anhören, aber in Paris bezogen Soja und ich möblierte Zimmer in separaten Häusern auf den Hügeln von Montmartre, mit Fenstern, die in entgegengesetzte Richtungen wiesen, sodass wir uns nachts vor dem Schlafengehen noch nicht einmal zuwinken oder uns, als letzte Handlung des Tages, eine Kusshand zuwerfen konnten. Von ihrem Fenster aus konnte Soja auf die von einer weißen Kuppel gekrönte Basilika von Sacré-Cœur blicken, die an der Stelle stand, wo der spätere Nationalheilige der Franzosen den Märtyrertod erlitten hatte. Sie konnte die Menschenmassen beobachten, die die steilen Stufen zum dreibogigen Zugang der Kirche emporstiegen, und sie konnte das Geplapper der Leute hören, die unter ihrem Fenster auf dem Weg

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