Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
überwältigen. Tatsächlich schaute er zu mir hinüber, als er mich keuchen hörte, mit einem unverkennbar missbilligenden Gesichtsausdruck, was mich beschämte, denn er war nur ein Junge und stand diese Situation mannhafter durch als ich, der ihm fünf Jahre voraus war. Gedemütigt kämpfte ich gegen meinen Ekel an und folgte dem kaiserlichen Tross, als sich dieser von Krankenbett zu Krankenbett bewegte.
Der Zar sprach der Reihe nach mit jedem der Männer, wobei er sich tief zu ihnen hinabbeugte, sodass ihre Unterhaltung eine gewisse Vertraulichkeit bekam. Einige der Männer waren in der Lage, ihm Antworten zuzuflüstern, andere besaßen weder die Kraft noch die Selbstdisziplin, um eine Unterhaltung führen zu können. Alle schienen sie jedoch zutiefst davon beeindruckt, dass der Zar persönlich unter ihnen weilte – vielleicht dachten sie ja, dass sie sich all dies nur im Fieberwahn einbildeten. Es war, als wäre Christus persönlich in das Zelt eingetreten, um ihnen seinen Segen zu erteilen.
Etwa in der Mitte des Zeltes ließ Alexei die Hand des Zaren los und begab sich zu den Betten auf der gegenüberliegenden Seite, wo er sich nach dem Vorbild seines Vaters mit den Männern zu unterhalten begann. Er nahm auf ihrer Bettkante Platz, und ich hörte, wie er ihnen erzählte, dass er den ganzen Weg von St. Petersburg bis hierher gereist sei, um mit ihnen zusammen zu sein, und dass sein Pferd ein echtes Kavalleriepferd sei, wir aber nur in einem gemäßigten Tempo ritten, damit ihm nichts zustoße. Er redete über Kleinigkeiten, über Belanglosigkeiten, die er offenbar ungeheuer wichtig nahm, doch die Patienten schätzten die Unverstelltheit seiner Konversation und waren von ihm bezaubert. Als die beiden das Ende ihrer jeweiligen Bettenreihe erreicht hatten, registrierte ich, wie der Zar sich umdrehte und seinen Sohn beobachtete, als dieser einem Mann, der bei einem Angriff das Augenlicht eingebüßt hatte, eine kleine Ikone in die Hand drückte. Er wandte sich einem seiner Generäle zu und machte eine leise Bemerkung, die ich nicht hören konnte, und der Offizier nickte und verfolgte gebannt, wie der Zarewitsch seine Konversation zu Ende führte.
»Ist was, Vater?«, fragte Alexei, wobei er sich umdrehte und bemerkte, dass alle Augen auf ihn gerichtet waren.
»Nein, überhaupt nichts, mein Sohn«, sagte der Zar, und ich war mir sicher, ich konnte hören, wie ihm die Worte fast in der Kehle stecken blieben, aus Mitgefühl mit den Verwundeten und zugleich vor Stolz auf die große Geduld, die sein Sohn an den Tag gelegt hatte. »Aber komm, wir müssen jetzt aufbrechen.«
Den Großfürsten Nikolaus Nikolajewitsch, dem ich das Leben gerettet und dessen Erkenntlichkeit ich mein neues Leben zu verdanken hatte, traf ich erst eine gute Woche nach meiner Ankunft in der Stawka. Als wir beide uns wiedersahen, war er gerade von der Front gekommen, wo er mit wechselndem Erfolg unsere Truppen angeführt hatte. Nun war er nach Mogilew zurückgekehrt, um sich mit seinem Vetter, dem Zaren, zu beraten und die Strategie für den Herbst festzulegen.
Ich hatte das Haus gerade vom Garten aus betreten, wo Alexei damit beschäftigt war, sich zwischen ein paar Bäumen ein Fort zu bauen, als ich einen Riesen von einem Mann den Flur entlang auf mich zustiefeln sah. Instinktiv wollte ich kehrtmachen und wieder nach draußen laufen, denn seine hünenhafte Statur und seine enorme Leibesfülle bildeten eine überaus einschüchternde Erscheinung, fast noch einschüchternder als der Zar selbst, aber es war zu spät, um sich davonzumachen, denn der Mann hatte mich bereits entdeckt und eine Hand zum Gruß erhoben.
»Jatschmenew!«, röhrte er, als er näher kam, wobei er das durch die geöffneten Türen einfallende Sonnenlicht mehr oder weniger verdeckte. »Du bist doch Jatschmenew, oder?«
»Ja, ich bin’s, Euer Durchlaucht«, erwiderte ich und entbot ihm eine tiefe, respektvolle Verbeugung. »Es ist schön, Euch wiederzusehen.«
»Ist es das?«, fragte er mich und klang dabei ein wenig überrascht. »Na, das höre ich gern. Da bist du also«, fügte er hinzu, wobei er mich von Kopf bis Fuß musterte, als wollte er herausfinden, ob ich seine Wertschätzung noch immer verdiente. »Ich habe mir damals gedacht, es könnte vielleicht hinhauen. Habe zu meinem Vetter gesagt, Nicky, es gibt einen Jungen, den ich in diesem Drecksloch von Dorf kennengelernt habe, ein ziemlich beherzter Bursche. Gebe zu, er macht nicht viel her. Ein paar Zentimeter
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