Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
ausgeben können. »Auf zehn Jahre verteilt natürlich.«
Soja murmelte einen alten russischen Fluch, enthielt sich sonst aber jeglicher Kritik – womöglich hatte das Gerät sie inzwischen auch in seinen Bann gezogen. Es dauerte eine Weile, bis ich herausgefunden hatte, wie man es bediente, doch schließlich waren alle Verbindungen vorschriftsmäßig hergestellt, und ich drückte auf den Einschaltknopf, und wenig später sahen wir drei einen kleinen weißen Kreis auf dem Bildschirm auftauchen, der allmählich größer wurde und nach zwei oder drei Minuten den gesamten Bildschirm mit einem Symbol für die BBC ausfüllte.
»Es geht erst um sieben Uhr los«, erklärte Arina, war aber offenbar vollauf damit zufrieden, einfach so dazusitzen und das Testbild zu betrachten.
Das ganze Land hatte am darauffolgenden Tag freibekommen, und die Straßen waren von so vielen Flaggen und Wimpeln gesäumt, dass sich die Stadt über Nacht in einen Zirkus verwandelt zu haben schien. Gegen Mittag erschien Ralph bei uns, mit kaltem Braten, Käse und diversen Chutneys für Sandwiches und mit mehr Flaschen Bier, als ich eigentlich für nötig hielt.
»So wie du dich aufführst, könnte man meinen, du heiratest heute«, sagte ich zu Arina, die bereits seit sechs Uhr morgens auf den Beinen war und aufgeregt in der Wohnung herumfuhrwerkte, bis sie schließlich direkt vor dem Fernsehgerät auf dem Fußboden Platz nahm, um den Ereignissen so nahe zu sein wie irgend möglich. »Stellst du dir so unsere Zukunft vor? Dass wir dasitzen werden wie eine Familie von Halbaffen, hypnotisiert von einem flimmernden Licht, das aus einer Holzkiste kommt?«
»Pssst, Papa, ich will das sehen!«, sagte sie, während sie verfolgte, wie der Reporter im Studio dieselbe Information in einem fort wiederholte und dabei jedes Mal so tat, als berichtete er etwas aufregend Neues.
Soja schien an den Geschehnissen weniger interessiert als die jungen Leute. Sie hielt so viel Abstand zum Fernsehgerät, wie es unser kleines Wohnzimmer ermöglichte, und ging allerlei unnötigen Beschäftigungen nach. Doch als die junge Königin ihre Fahrt vom Buckingham Palace aus begann und, zuversichtlich lächelnd, aus der goldgekrönten Kutsche schaute und ihren Untertanen dabei mit jener durch und durch königlichen Handbewegung zuwinkte, da rückte Soja ihren Sessel näher an den Fernseher heran und begann stumm zuzuschauen.
»Sie ist schon ein hübsches Ding«, bemerkte ich, als Elisabeth den Thron erklomm, nur um mir ein weiteres »Pssst!« meiner Tochter einzuhandeln, die es sich nicht nehmen ließ, jeden Edelstein, jedes Diadem, jeden Thron und jedes Detail der zeremoniellen Prachtentfaltung zu kommentieren, es sich aber verbat, dass ich die Übertragung des Festaktes auch nur mit einem einzigen Wort störte.
»Ist es nicht wundervoll?«, fragte sie, wobei sie sich uns zuwandte, völlig hingerissen von dem Geschehen auf dem Bildschirm. Ich lächelte sie an, obwohl mir eigentlich nicht danach zumute war, und warf einen kurzen Blick auf meine Frau, die ebenfalls von den Fernsehbildern gebannt war und offenbar kein Wort von dem mitbekommen hatte, was unsere Tochter gesagt hatte.
»Ralph und ich werden jetzt zum Palast gehen«, verkündete Arina, als der Festakt endlich vorbei war.
»Warum um Himmels willen?«, fragte ich und zog dabei eine Augenbraue hoch. »Habt ihr denn nicht genug gesehen?«
»Jeder geht dorthin, Mr Jatschmenew«, sagte Ralph, als wäre dies die selbstverständlichste Sache der Welt. »Wollen Sie denn nicht sehen, wie die Königin auf den Balkon hinaustritt?«
»Nein, eigentlich nicht.«
»Ihr werdet gehen«, sagte Soja, wobei sie aufstand und uns den Rücken kehrte. Sie ließ heißes Wasser ins Spülbecken laufen und machte sich unverzüglich über unser benutztes Geschirr her. »Das ist was für junge Leute. Georgi und ich könnten diese Menschenmassen nicht ertragen.«
»Wir sollten jetzt besser gehen, Ralph, sonst bekommen wir keinen guten Platz mehr«, sagte Arina, wobei sie sich seine Hand schnappte und ihn hinauszerrte, bevor er sich auch nur ansatzweise für unsere Gastfreundschaft bedanken konnte. Draußen auf der Straße waren jetzt auch andere Leute zu hören, die ebenfalls ihre Häuser verließen, nachdem sie die Krönung im Fernsehen verfolgt hatten, und nun von Holborn zur Charing Cross Road zogen, und von dort weiter bis zur Mall, in der Hoffnung, dem Königin-Viktoria-Denkmal möglichst nahe zu kommen. Ich hörte mir das ein paar
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