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Das Haus

Das Haus

Titel: Das Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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hinaus auf die Straße und die vorbeifahrenden Autos dort). Abendessen war die schlimmste Zeit für mich. Ich wollte weg aus diesem Licht und allein sein irgendwo anders. Die Käsescheiben, farblos wie das seltsame Licht, lagen da wie eine Bedrohung, wie etwas Unüberwindliches, aber alle aßen sie. Vor allem überforderte mich die Zusammensetzung dieser im grellen Licht liegenden Tischrunde. Tagsüber, wenn von draußen der Himmel und die Bäume hereinkamen, befand ich mich gern an diesem Tisch, dann kamen und gingen die Menschen und wollten nichts Besonderes von mir,und es war auch nicht selten meine Urgroßmutter dabei. Tagsüber waren oft allerlei Menschen anwesend, die ich immer als dazugehörig empfand, etwa auch die Großmutter oder mein Onkel J., vielleicht unsere Putzfrau Eiler oder die Nähfrau Däschinger, vielleicht war das Tante Lenchen zu Besuch, oder die Gartenhilfe saß am Tisch, in den ersten Jahren kam auch hin und wieder ein Vorarbeiter der Steinwerkefirma zu uns, ich kann mich auch erinnern, daß Frau Rauch manchmal aus dem Büro herüberkam, die alte Mühle, die das Büro beherbergte, war ja in Sichtweite des neuen Hauses. Wenn Frau Rauch in unserem Haus war, rauchte sie nicht, geraucht wurde nur im Büro meines Vaters, das direkt an die Garage für die zwei Automobile angrenzte und von dem aus man die lange Einfahrt überblicken konnte. Dort stand in den siebziger Jahren noch ein Rollaschenbecher, auch Tabakwaren befanden sich in einem Kästchen auf dem Konferenztisch im hinteren Teil des ansonsten karg eingerichteten Büros. Die Zigaretten wurden Jahr für Jahr in der Buchhaltung als Büromaterialien angesetzt, in den achtziger Jahren verschwanden sie, in den neunziger Jahren rauchte schon niemand mehr in diesem Büro. In der Küche war ohnehin nie geraucht worden, und wenn Frau Rauch rauchen wollte, mußte sie auf die hintere Veranda treten, durch die Küchenausgangstür. Sie stand dann dort, wo vormals der Nutzgartengewesen war, und schaute nun über Rhododendrenbüsche hinweg auf die Usa und die dahinterliegenden Linden.
    Mit diesen wechselnden Besuchen, die nicht mich, sondern meine Mutter bzw. die Firmenchefin meinten, hatte ich keine Probleme, sie waren mir sogar angenehm, denn es ging ja nicht um mich. Aber allein schon durch die Anwesenheit meines Vaters, der tagsüber nicht da war und immer erst abends erschien, wurde etwas völlig anders, und auch die Anwesenheit der übrigen Familienmitglieder nahm ich dann ganz anders wahr. Alles stand plötzlich wie unter einem Zwang. Das Licht wurde angeschaltet, die Rolläden heruntergelassen, und irgend etwas schien die Luft aus dem Raum zu pumpen, so daß ich kaum mehr atmen konnte. Die anderen betraf das offenbar nicht. Sie konnten atmen.
    Es gab eine feste Sitzordnung. Unter dem Kreuz saß mein Vater, der Rechtsanwalt, den ich vor kurzem hatte heimkommen hören (schon die halbe Stunde davor hatte ich diesen Moment bange erwartet, da ich wußte, es würde dann bald zu Abend gegessen werden), ihm gegenüber seine Gattin, die Firmenchefin, meine Mutter, und auf einer Bank an der Seite saßen die beiden Geschwister. Zuerst wurde gebetet, und schon das fiel mir unendlich schwer, das heißt, ich betete eigentlich gar nicht, sondern tat immer nur so. Einerseits fühlte ich, daß meineHandlung, wenn ich die Hände faltete und nach unten schaute, unecht war, weil ich nichts außer nur der Pflicht, das jetzt tun zu müssen, damit verband. Andererseits hätte ich mich geschämt, hätte ich nicht die gleiche Bethaltung wie die anderen eingenommen. Noch schlimmer, als die Hände zu falten und unter sich zu schauen, war, das Gebet mitsprechen zu müssen, gemeinsam im Chor mit den anderen. Komm, Herr Jesus, sei unser Gast, und segne, was du bescheret hast , hervorgebracht in einer düsteren Monotonie, die mir jedesmal Schauer über den Rücken jagte. Ich tat zwar so, als spräche ich die Worte mit, bewegte aber bloß meine Lippen und fühlte mich verlogen und verloren dabei. Am schlimmsten war, daß ich mir dadurch selbst fremd wurde und mich fragte, wieso ich das eigentlich nicht könne, was doch alle anderen anscheinend ohne weiteres konnten: beten. Auch mein heute vollkommen areligiöser Bruder betete als Kind, meine Schwester sowieso. Es war ein Ritual und ihnen möglicherweise völlig gleichgültig, vielleicht konnten sie es ja deshalb. Ich konnte es weder am Abendessenstisch noch in der Kirche. Aber nicht nur ich wurde mir fremd dabei, auch die

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