Das Haus
meiner Schwester aus, dessen Mitglieder, zwei oder drei Jahre älter als ich, sich weit weg vom Eingang des Schulgebäudes aufgebaut haben, als seien sie quasi nur freiwillig hier, Unabhängigkeit gegen alles demonstrierend, und als hätten sie jederzeit die freie Wahl, sich gegen all das zu entscheiden, im Gegensatz zu mir. Sie taten so, als müßten sie nicht in den nächsten Minuten in die Schule hinein (sie mußten sich als Schülerinnen derhöheren Klassen nicht mehr in Reih und Glied aufstellen), sondern als könnten sie sich, wenn sie nur wollten, sogar eine Zigarette auf dem Schulhof anzünden. Natürlich steckten sie sich noch keine Zigarette auf dem Pausenhof an, aber es gehörte schon für einige dazu, wenigstens ein Zigarettenpäckchen bei sich zu tragen, so daß man es hin und wieder zeigen konnte.
Ich lag im Bett und sah voraus, wie ich mich nachher rechts unten auf dem Pausenhof unter dem Vordach einfinden würde, um mich dort einzureihen. Wieder würde ich unter vierundzwanzig anderen sein, sie würden darum kämpfen, wer sich neben und hinter und vor wem aufstellen durfte, sie würden ihre Vorlieben vorziehen, und sie würden diejenigen, die sie nicht mochten, möglichst zu verstoßen und nach hinten zu drängen versuchen. Sie schafften innerhalb von zwanzig, dreißig Sekunden jeden Tag eine von Alpha bis Omega durchstrukturierte Ordnung, mit Knüffen und Schlägen und Händen und Worten. Innerhalb von zwanzig oder dreißig Sekunden definierten sie jeden Morgen, und sei es auch nur für den kurzen Augenblick des In-Reih-und-Glied-Stehens, ihre Ordnung von Grund auf, als kämen sie ohne eine solche Ordnung nicht aus und als wäre sie notwendig. Vielleicht wollte die Schulleitung es genau so und sah einen besonderen Sinn darin, als Einübung. Warum sonst hätte dieSchulleitung anordnen sollen, jeden Morgen Reih und Glied zu bilden?
Bevor ich mich in Reih und Glied stellte, ging ich oft nach links auf die andere Seite des Schulhofs und setzte mich auf eine Bank, die um den Schulbaum herumgebaut war, die sogenannte Schullinde. An der Schullinde saß vor Schulbeginn niemand, nur in den Pausen standen dort manchmal die Berufsschüler, um zu rauchen. Es waren nämlich auch Berufsschüler in der Schule untergebracht, sie hatten in den oberen Etagen Unterricht. Morgens jedoch saß ich dort allein und hatte den ganzen Schulhof im Blick. Leider aber hatte zugleich auch der ganze Schulhof mich im Blick. Kaum saß ich da, lösten sich einige aus der Schülermasse, nicht anders, als sich einige Jahre später die Angriffsraketen auf dem Computerbildschirm meines Bruders lösen sollten, um Nordamerika zu vernichten, und sausten auf mich zu. Da sitzt er wieder, riefen sie, da sitzt er wieder, der nicht dazugehört, weil er immer dort sitzt, und sie begannen eine Art von Tanz, nicht um mich herum, das wagten sie dann doch nicht, aber fünf Meter vor mir. Immer setzt er sich da hin, der nicht dazugehört, sangen und riefen sie und drehten mir eine Nase und verballhornten meinen Namen, und wenn ich aufstand, stoben sie davon. Anschließend, beim Klingeln, ging ich unter das Vordach und reihte mich ein, immer ganz hintenund meistens an der Hand eines Mädchens. Es kam mir vor, als würde ein finales Urteil über mich gesprochen, nicht wegen des Mädchens und weil ich mich auf dem letzten Platz anstellte (die Anwesenheit des Mädchens neben mir beruhigte mich eher), sondern vielmehr deshalb, weil sich mit mir der gesamte Lindwurm von Schülern in die Haupteingangstür hineinschob, um aufgefressen zu werden für den Rest des Vormittags beziehungsweise bis zur nächsten großen Pause.
Bis dahin hatte ich, im Bett liegend, also noch eine Stunde Zeit.
Ich sehe mich, untergegangen in dieser Klassengruppe, dem Klassenraum zustreben, Schritt für Schritt, und kaum hatten sie den Klassensaal betreten, rannten und schrien und tobten sie wieder los, so daß die Klassenlehrerin mitleidig zu mir blickte, weil sie um meinen Zustand wußte, aber auch sie konnte mich nicht erlösen aus alldem, auch sie konnte die Ordnung der Dinge, wie sie war, ja nicht ändern, so gern sie es vielleicht auch versucht hätte. Sie war die jüngste Lehrerin an der ganzen Schule, sie mochte mich sehr gern, und in den besten Momenten am Vormittag war es für mich so, als gäbe es nur sie und mich und sonst nichts um uns herum, als habe der liebe Gott die Ordnung der Dinge nun doch ein wenig geändert, wenn auch nur für einen Augenblick.
Noch bevor sie
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