Das Haus
ohne Aufsicht, ohne Zeugen? Alles, was du willst, sagten sie. Ich war überrumpelt, konnte keinen klaren Gedanken fassen und geriet in Verwirrung. Immer länger währte der Moment des offengehaltenen Wunsches. Nun mach schon, sagten die Mädchen. Wünsch dir was!
Und dann äußerte ich meinen Wunsch, und er war wie jeder Wunsch, den man einer Fee sagt, wie in Panik hervorgebracht oder zumindest unbedacht und ohne daß der Wünschende seine Sinne vernünftig beieinander hat. Ich hatte mir binnen Sekunden auszumalen versucht, was ich gern hätte bzw. was geschehen möge kraft meines Wunsches, aber ich konnte keinen wirklichen Gedanken fassen. Ich wußte nur, daß mir ein unfaßbares Glück verheißen war, und zwar wahrscheinlich nur dieses einzige Mal, nämlich jetzt bei den Mädchen im Keller auf der roten Matratze, die mich inzwischen regelrecht eingekeilt hatten mit ihren Schenkeln. Und daß ich dieses einmalige Glück nicht vergeuden dürfe. Letzten Endes sagte ich das nächstbeste, was mir einfiel, und hätte ich nicht so etwas Seltsames gesagt, wäre mir die ganze Szene vielleicht gar nicht mehr in Erinnerung. Die Augen der sechs oder sieben Mädchen sind nun gespannt auf mich gerichtet, ganz nah an meinem Gesicht, und ich sage, ich wünsche mir eine Tasse.
In dem Augenblick, da ich das Wort Tasse aussprach, ärgerte ich mich über mich. Ich hatte das Wort nur gesagt, um zu sehen, ob der Wunsch auch wirklich in Erfüllung geht. Nun würde eine Tasse vor mir entstehen, ja, schön, das wäre ein Wunder und Magie und Zauberei, aber was wollte ich denn mit dieser Tasse? Wozu eine Tasse? Niemand, in keinem Märchen, das ich kannte, hätte sich jemals etwas so Dämliches und Absurdes gewünscht wie eine Tasse. Die hatten sich wenigstens eine Bratwurst gewünscht oder viel Gold, aber ausgerechnet eine Tasse? Ich hatte übrigens keinerlei besonderen Bezug zu Tassen. Wie ich auf den Gedanken an eine Tasse kam, ist mir bis heute rätselhaft.
Es entstand keine Tasse. Ich schaute vor mich hin. Keine Tasse da. Eigentlich hätte sie nun auf derroten Matratze vor mir stehen sollen oder vielleicht vor mir in der Luft schweben. Idiot, sagten die Mädchen. Schwachkopf. (Untereinander:) Er ist wirklich blöde. Er ist wirklich nicht ganz richtig im Kopf. Alle beendeten ihr Lächeln und zogen ihre Schenkel wieder von mir ab. Sie hatten etwas ganz anderes erwartet und waren nun enttäuscht. Bald saß ich allein auf der Matratze, und die Schar war weitergezogen, und ich hatte nicht Mau-Mau gelernt.
A ls ich fünf oder sechs Jahre alt war, saß ich bereits regelmäßig im Bastelkeller und arbeitete vor mich hin. Ich hatte zu meinem Geburtstag einen Hubschrauber von meinem Bruder geschenkt bekommen, einen Bell UH-1D mit der Aufschrift Luftwaffe . Das ist jener Hubschraubertyp, der sich kollektiv ins bundesdeutsche Gedächtnis eingebrannt hat, weil er bei der gescheiterten Geiselbefreiung in Fürstenfeldbruck verwendet worden war, genau im Jahr meines fünften Geburtstags. Seit da begann ich mich selbst für Modelle zu interessieren. Meine Bastelbemühungen bekamen allerdings bald etwas Eigenartiges. Ich schuf immer ziemlich große, in sich geschlossene Gebilde, die viel Platz brauchten und meist von etwas Schützendem umgeben waren. Ich bastelte das Asterixdorf aus Schnittbögen und errichtete einen Palisadenzaun darum. Ich verfertigte ein Römerkastell, das an sich schon eine Wehranlage war, auch wenn die Römer darin sicherlich sehr bald von Asterix und Obelix verprügelt werden würden. Dennoch war es geradezu idyllisch, wie die Römer dort im Kastell in Wäschezubern ihre Wäsche wuschen oder in großen Kesseln ihren Getreidebreikochten. Wenn ich einen Stuka baute, postierte ich zu seiner Verteidigung einige Wehrmachtsoldaten um seinen Stellplatz herum, ein Kradfahrer kam ebenfalls dazu, schließlich wurde es das Panoramabild eines fortifizierten Wüstencamps, montiert auf eine Styroporplatte, die ich mit dem Miniatursand bestreute, den mein Bruder für die Kieswege seiner Modelleisenbahnlandschaft verwendete. Natürlich wußte ich nicht, ob Rommel in der Wüste, von dem mein Onkel J. gern sprach und von dessen Feldzug ich mit meinem Stukapanorama wohl eine Art Detail nachstellen wollte, tatsächlich diesen Flugzeugtyp zur Verfügung gehabt hatte oder nicht. Hätte es unser Haus als Modellbausatz gegeben, hätte ich sicherlich auch das gebaut. Tage und Wochen konnte ich auf diese Weise im Bastelraum verbringen. Ich vergaß
Weitere Kostenlose Bücher