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Das Haus

Das Haus

Titel: Das Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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saßen, waren wiederum Rangstreitigkeiten und Abgrenzungsbemühungen und das Herstellen einer Art von Revierordnung das Thema, wie diese Dinge überhaupt den ganzen Tag das beherrschende Thema waren. Schon um acht Uhr morgens im Klassensaal befand sich ein Teil der Schüler wie in einem ewigen Krieg untereinander, allerdings, und das war mir noch unverständlicher, gab es in diesem Krieg auch immer wieder partielle Friedensparteien, Inseln des Friedens untereinander, die ihrerseits gleich wieder zu Waffenbrüderschaften wurden, gemeinsam geschlossen gegen andere, feindliche Waffenbrüderschaften. Man könnte sagen, man gab diese Schüler zusammen wie Materialien in einen chemischen Kolben, und das Gemisch begann sogleich zu reagieren. So, wie man einen wissenschaftlichen Versuch jederzeit wiederholen kann, indem man zwar nicht dieselben, aber doch die gleichen Ingredienzen in der gleichen Menge verwendet, so war es für mich auf dem Pausenhof und in den Klassensälen. Es war egal, wer da mit wem zusammengeschüttet wurde. In der Reaktion wurden sie zu etwas vollkommen Homomorphem aufgelöst, zu einer Gruppe. Man konnte sie zusammenschütten, dann gab es Dampf und ein Gebräu, und man konnte, wie bei einem physikalischen Versuch, das homomorphe Gemisch auch wieder scheiden wie mit einem Scheidewasser, das war dieSchulendeglocke. Erst mit dem Ende des Heimwegs, wenn die letzten Schulweg-Paare sich trennten und die letzten Heimwegrangeleien beendet waren, war das Gemisch endgültig und restlos geschieden, und am nächsten Morgen würde der ganze Vorgang wiederholt werden, in infinitum .
    Jetzt sah ich im Bett die erste große Pause vor mir.
    Während der Pause konnte ich mich immer nur an den Rand des Schulhofs zurückziehen. Am Rand freilich standen die Berufsschüler herum, und die hatten es auf mich abgesehen. Sie waren älter und wußten, wie ich heiße, aus welchem Haus ich stamme, sie kannten die parteipolitische Zugehörigkeit meiner Familie und schmierten sie manchmal zur Wahlkampfzeit mit einem Schimpfwort versehen in riesigen Lettern auf den unteren Schulhof, besonders in der Wahlkampfzeit wurde ich hin und wieder von ihnen verprügelt. Deshalb hielt ich mich möglichst in der Nähe eines Aufsichtslehrers auf. Aber kaum stand ich in der Nähe des Aufsichtslehrers, wo mir von seiten der Berufsschüler nichts passieren konnte, kamen meine Altersgenossen und begannen wieder ihre Hänselei: Nun steht er wieder bei der Aufsicht und gehört nicht dazu, weil er bei der Aufsicht steht. Und die Aufsicht sagte mir, dem Kind, ich möge doch zu meinen Schulkameraden gehen und ein bißchen mit ihnen spielen, das mache doch Spaß, das mache doch jeder. Andreas,bewege dich doch ein bißchen, tolle doch etwas herum, sagte sie. Die Klassenlehrerin sagte so etwas nie. Sie sagte, wenn sie Aufsicht führte, einfach nur: Bleib in meiner Nähe. Und ich blieb in ihrer Nähe, was natürlich zu weiteren Hänseleien führte, weil ich nunmehr für sie in die Lehrerin verliebt war, und die baldige Verheiratung wurde herbeigeredet und herbeigesungen mit den geläufigen Reimgesängen, unter anderem dem vom verliebten Ehepaar. So irrte ich vom Schulhofrand und den rauchenden, Cowboystiefel tragenden und Kaugummi kauenden Berufsschülern zur Pausenaufsicht, die mich zu Spiel und Spaß ermunterte, und von da weiter die Treppen hinab in den unteren Schulhof, als könnte das helfen. Jeden Tag war ich wie ein aus der Bahn geworfener Satellit auf dem Schulhof, und alle anderen schienen ihre festen Umlaufbahnen zu haben. Manchmal suchte ich Hilfe, indem ich durch das Tor des unteren Schulhofs auf die Straße hinauszutreten versuchte, um mich dort von einem Automobil überfahren zu lassen. Aber auch dort stand immer eine Aufsicht und achtete streng darauf, daß keines der Kinder das Schulgelände verließ.
    Nun gab es noch zwei Möglichkeiten. Ich konnte hinauf und zum Hausmeister gehen und dort um eine Milch oder einen Kakao anstehen. Mit einer Milch oder einem Kakao in der Hand ließ es sich besser allein auf dem Schulhof herumstehen, dennnatürlich fühlte ich mich unsäglich peinlich und als der eigentliche komplette Schulhofversager, weil ich immer so allein herumstand. Alle konnten dort auf dem Schulhof alles, ich nichts. Mitspielen konnte ich nicht, mitrennen konnte ich nicht, mitsprechen konnte ich nicht. Nicht, daß ich es nicht öfter versucht hätte. Manchmal luden mich meine Mitschüler sogar dazu ein. Aber es ging nicht, irgend etwas

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