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Das Haus

Das Haus

Titel: Das Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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daran war unecht. Vielleicht hätte ich einem einzelnen gegenüberstehen und mit diesem reden können, abseits und am Rand, vielleicht wäre das sogar sehr gutgegangen, aber dafür gab es in all den Jahren kaum eine Person außer vielleicht dem ein oder anderen Mädchen. Meistens aber war das betreffende Mädchen umgeben von einer Schar anderer Mädchen und dadurch wie abgeschottet. So war es dann immerhin besser, eine Milch- oder Kakaotüte oder eine Kümmelstange in der Hand zu halten, weil es dann aussah, als stünde ich nur deshalb allein, weil ich gerade mein Frühstück einnahm. Aber würde ich nun tatsächlich die Stufen zum oberen Schulhof hinauflaufen und zum Hausmeisterbüro gehen (der Hausmeister hatte dort seinen Verkauf eingerichtet), würde mich dort wieder eine der Schülerschlangen erwarten, und ich würde eine Ewigkeit in der Schlange stehen, und wahrscheinlich würden sie mich wieder ansprechen und fragen, wieso ich eigentlich so komisch sei . Denn das war eigentlichdie erste Frage, die jeder an mich hatte, jeden Tag und bei jeder Begegnung, und natürlich verfolgte mich diese Frage bis in meine nächtlichen Träume hinein. Ginge ich aber nicht wieder hinauf in den oberen Hof und zum Hausmeister, bliebe nur noch eine Möglichkeit, nämlich die Schultoilette.
    Vom unteren Schulhof aus führten zwei kleine Türen in die seitlichen Unterbezirke des alten Hauptgebäudes (es stammte noch aus der Bismarck-Zeit), nämlich in die Mädchentoilette und in die Jungentoilette, die damals noch Bubenklo genannt wurde. Schon wenn ich nur an die Jungentoilette dachte, überkam mich eine fast narkoseartige Betäubung. Übrigens waren in dieser Toilette sämtliche Dinge verkleinert wie in einem Puppenhaus. Bereits die hofseitige Eingangstür war kleiner als gewöhnliche Türen, drinnen waren kleine Waschbecken angebracht, selbst die Pißrinnen waren nicht so hoch gefliest wie sonst (sonst waren in meiner Kindheit die Pißrinnen immer bis über meinen Kopf hinweg gefliest, hier gingen mir die Fliesen maximal bis zur Brust), die Sitzkabinen hatten noch wesentlich kleinere Türen als der Eingang, und die Schüsseln hätten geradezu putzig gewirkt, wären sie nicht mit dem behaftet gewesen, was die Hauptsache in der Schultoilette war, das eigentliche narkotisierende Element, nämlich mit dem Geruch des Schülerurins sämtlicher Schülerblasen des Tages und eigentlichdes ganzen letzten Jahrhunderts. Öffnete man die Eingangstür zur Schultoilette, schlug einem gleich der Dampf entgegen, der meiner Vorstellung nach sogar die Kleidung befeuchtete und durchtränkte. Im Winter war der Dampf noch wesentlich schlimmer als im Sommer. Und kaum lichtete sich der dampfende Urinnebel etwas, wurde die Toilettenszene sichtbar, die mir immer so vorkam wie später Goethes Walpurgisnachtszenen aus dem Faust oder wie der Traum des Hans Castorp im Schnee, wo am Ende eine regelrechte Hexensuppe zusammengekocht wird. Sie standen zusammen vor den kleinen Waschbecken und spritzten sich naß oder schrien den an, der sich die Hände nicht wusch: Guckt mal, der hat die Pisse an den Händen, schrien sie, oder andere taten männlich und spuckten verächtlich in Richtung des Waschbeckens und derer, die an ihm standen, denn einige hielten es für ein Zeichen von Schwäche und Verweichlichung, sich die Hände zu waschen, gerade nach Benutzung der Toilette. Wieder andere liefen zu den Kabinen und wurden sofort mit Spott und Kommentaren belegt, daß der, der in die Kabine gehe, seinen Schwanz nicht zeigen wolle. Denn das war für sie ganz wichtig, ihren Schwanz zu zeigen, und noch wichtiger war, daß auch alle anderen ihren Schwanz zeigten. Es war die erste umfassende Sozialkontrolle in ihrem Leben, die sie da ausübten, ohne es zu wissen, und zwar anhandsämtlicher Schulschwänze. Wer den Schwanz nicht zeigte, sondern in die Kabine ging, war entweder ein Feigling oder etwas noch viel Schlimmeres, vielleicht abartig, oder er hatte eine Krankheit oder am Ende vielleicht sogar gar keinen Schwanz und war also eigentlich ein Mädchen. Schultoilette: Ich schaute auf ihre Schwänze und dachte, wie seltsam und unglaubwürdig, solche Schwänze zu haben, und ich hatte ja eigentlich keinen solchen Schwanz, ich hatte ihn nur, insofern die anderen in der Schultoilette mir darauf starrten. Zu Hause und allein hatte ich diesen Schwanz nie. Sie standen an der Rinne und hielten ihre Schwänze in den Händen und schauten hinüber zum Nachbarn, und der Nachbar drehte

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