Das Hausbuch der Legenden
den Befehl, sich zu einer Besprechung in einer Märtyrerkapelle vor der Stadt einzufinden. Dort wollte aber niemand mit ihm sprechen. Er mußte einen Reisewagen besteigen und wurde in größter Eile nach Konstantinopel gebracht. Hier waren der Patriarch von Alexandrien, Theophilos, und seine Bischöfe zur Wahl des neuen Bischofs von Konstantinopel versammelt. Der Kaiser präsentierte der ahnungslosen Synode Johannes Chrysostomus und zwang sie, ihn gegen alle Proteste zum Patriarchen zu erheben und zu weihen. Fünf Jahre wirkte Chrysostomus, sammelte einen großen Kreis von persönlichen Anhängern um sich, gewann das Vertrauen des Kaisers und der Kaiserin, setzte unwürdige Bischöfe ab, strafte lässige Priester, jagte mönchische Herumtreiber wieder in die Klöster, kämpfte mit Ketzern, Juden und Heiden. Sein Kirchenregiment war den Mitbrüdern zu hart, besonders die oberen Klassen waren verstimmt, weil er gegen ihren Luxus predigte und sein asketisches Leben fortführte. Um jene Zeit trat Ganias auf, ein Kelte und angesehener Heerführer des Kaisers. Er war Arianer und galt damit für die Vertreter der wahren Kirche Christi als Ketzer. Er bat den Kaiser, ihm und seinen Anhängern eine Kirche in Konstantinopel zu geben. Der fromme Kaiser bat Johannes, ihm eine Kirche zur Verfügung zu stellen. Johannes aber sprach: »Kaiser, gewähre ihm diese Bitte nicht! Gib das Heilige nicht den Hunden! Du hast keinen Grund, diesen Barbaren zu fürchten! Befiehl, daß wir beide zu dir kommen, und lasse mich in deiner Gegenwart mit ihm reden. Ich werde ihm die Zunge schon zügeln.« Der Kaiser rief beide für den nächsten Tag zu sich. Ganias bat wieder um ein eigenes Bethaus. Johannes aber antwortete: »Niemand hindert dich, zu beten. Alle Gotteshäuser stehen dir offen.« Darauf erwiderte Ganias: »Ich habe einen anderen Glauben und will deshalb einen Tempel für mich und die Meinen. Ich will das
Gotteshaus nicht mit Andersgläubigen teilen. Ich habe Außerordentliches für das Römische Reich geleistet und geduldet. Man kann mir meine Bitte nicht einfach abschlagen.«
Nun antwortete Johannes: »Du hast dafür auch großen Lohn empfangen! Du bist der oberste Heerführer des Reiches und trägst die Zeichen eines Konsuls. Das ist mehr, als du verdient hast! Warst du nicht einmal nur ein armseliger Kriegsknecht?
Und was bist du jetzt? In welchem Aufzug bist du früher herumgelaufen, und wie prächtig kannst du heute auftreten?
Wahrlich, geringe Mühe hat dir großen Lohn gebracht, und du hast nicht den geringsten Anlaß, gegen deinen Kaiser undankbar zu sein, der dich so erhöht hat.« Mit diesen Reden schloß Johannes dem Arianer den Mund.
Ganias aber gab nur äußerlich nach. Er wollte die Oberhand gewinnen und versuchte bei Nacht, was ihm bei Tag nicht gelang. Er ließ seine Barbaren den Palast des Kaisers anzünden. Seine Leute wurden aber von Engeln in die Flucht geschlagen, die wie ein Kriegsheer gegen sie antraten. Das Gebet des Johannes hatte sie gerufen. Als die Barbaren das ihrem Feldherrn meldeten, war er überrascht, denn er wußte, daß die kaiserlichen Truppen nicht in der Nähe, sondern auf viele andere Städte verteilt waren. Er ließ seine Leute in der nächsten Nacht noch einmal antreten. Sie wurden wieder abgeschlagen. Daraufhin zog er das dritte Mal selber mit, sah das Wunder mit eigenen Augen und floh aus der Stadt, denn er fürchtete, daß die kaiserlichen Truppen sich bei Tag nur versteckten, um die Stadt nachts schützen zu können. Er zog nach Thrazien, sammelte ein großes Heer und verwüstete das Land. Da schickte der Kaiser den Patriarchen als Gesandten dem Ganias entgegen. Johannes trat ohne Furcht und ohne feindselige Gefühle vor den Heerführer. Unter dem
außerordentlichen Eindruck, den der Heilige auf ihn machte, nahm Ganias die Hand des Chrysostomus, legte sie sich auf die Augen und befahl seinen Söhnen, dem Heiligen die Knie zu küssen.
Als Chrysostomus erfuhr, daß die Kaiserin gemeinsame Sache mit seinen Gegnern mache, hielt er eine flammende Predigt gegen die Weiber, die jeder, der sie hörte, auf die Kaiserin bezog. Sie beklagte sich deswegen beim Kaiser und brachte ihn dazu, eine Synode gegen Johannes einzuberufen.
Theophilus, der alte Gegner des Bischofs, Patriarch von Alexandrien, rief mit Freuden alle seine Parteigänger nach Konstantinopel.
Als die Bischöfe versammelt waren, zitierten sie Johannes vor ihr Gericht. Er weigerte sich aber, sich einer Synode zu stellen, in der
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