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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
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ließ er sich in einer Laube vor dem Haus mit seinen Schülern zum Morgenimbiß nieder.
    Als sie diesen eingenommen hatten, blieben sie im Gebet und in Gesprächen gelassen beisammen. Der fremde Wirt, der die Fahrt mit ihnen getan hatte, dachte der Worte des Predigers, daß er zur Hochzeit eines großen Mannes nach Berlin reise und daß heute der Tag des Festes sei, und er konnte nicht verstehn, wie der Baalschem so ruhig hier verweile, statt sich den Gästen im Hause des Bräutigams zu gesellen. Noch tief befangen in dem Geschehnis der Nacht und doch schon von der neuen Frage gestachelt, näherte er sich dem Meister. Aber wie er sich anschickte, den Mund aufzutun, hob der Baalschem das helle Angesicht, und der Wirt sah darin den heiteren Spott, mit dem jener über seine unruhige Seele in großer Güte lächelte. Da verging ihm der Mut zur Frage, und er nahm Urlaub, sich ein wenig in der fremden Stadt umzutun.
    Er war noch nicht eine Stunde unterwegs, als er merkte, daß allenthalben die Menschen beisammen standen, einander eine Neuigkeit mitzuteilen und sie zu besprechen. So trat er an einen heran und fragte, was da wohl geschehen sei, daß die Leute ihre Geschäfte vergäßen. Er bekam den Bescheid, daß im Hause eines reichen Juden, der eben heute habe Hochzeit halten sollen, am Morgen die Braut plötzlich dahingeschieden sei, nachdem sie noch bis Mitternacht mit aller Freudigkeit ihren Staat gerüstet und die Vorbereitungen zum Fest geleitet, den Rest der Nacht aber in ruhigem Schlaf verbracht habe.
    Auch sei sie keineswegs krank oder schwächlich gewesen, sondern als ein schönes und starkes junges Geschöpf allen bekannt. Der Wirt ließ sich das Haus des Bräutigams zeigen.
    Dort eingetreten, fand er die Festgäste in Trübsal und Verwirrung die Tote umstehen, die blaß, aber unentstellt auf einem Bette lag. Die Ärzte schienen sich noch um sie bemüht zu haben und nahmen eben ihren Abschied von dem Herrn des Hauses, indem sie mit etlicher Verlegenheit äußerten, daß nun doch tot bleiben müsse, wer tot sei. Der Bräutigam stand reglos, sein Antlitz war von Kummer wie von einem großen Schleier umsponnen. Der und jener unter den Gästen trat zu ihm und raunte ihm zu, was ihn trösten sollte, aber der Mann blieb stumm, als ob er nicht hörte. Da wagte es auch der Wirt, ging zu ihm hin und erzählte ihm, auf welch absonderliche Weise er heute nacht so weiten Weg mit dem fremden Prediger gekommen sei. Und er meinte, der Wundermann, der diese Fahrt vermochte, verstünde sich wohl auf mehr, was nicht gewöhnlich sei, und riet dem Herrn des Hauses, zu ihm zu gehen und ihm sein Leid zu vertrauen. Der Bräutigam griff nach seiner Hand, hielt sie fest und begehrte, zur Herberge des Baalschem geführt zu werden. Er trat vor den Meister, sagte ihm alles von der schweren Begebenheit und entbot ihn an das Bett der Toten. Der Baalschem ging unverweilt mit ihm zu der entseelten Braut und blickte lange auf ihr verschwiegnes Angesicht.

    Alle waren still geworden und warteten auf sein Wort. Er aber wandte sich von der Ruhenden und sprach zu den Frauen:
    »Bereitet eilig der Toten das Sterbegewand und tut ungesäumt eure Bräuche.« Zum Bräutigam sagte er: »Entbiete Männer, daß sie am Ort des Lebens, wo du die Toten deines Hauses zur Ruhe bringst, auch dieser eine Stätte bereiten.« Da sandte der Bräutigam hin und ließ ein Grab aufwerfen. Der Meister aber sprach weiter: »Ich gehe mit euch dieser Toten zum Geleit. Ihr aber nehmt die Hochzeitsgewänder und den Schmuck, den sie sich selbst zum heutigen Tage erlesen hat, und bringt ihn zum Grab.« Als alles bestellt war, legten sie die Leiche in einen offenen Schrein und trugen sie hinaus. Der Baalschem ging als erster dem Sarge nach, und ihm folgten viele Leute mit verhaltenem Atem.
    Vor dem Grab befahl der Baalschem, die Tote im
    unbedeckten Sarg in die Grube zu legen, so daß ihr Angesicht frei gegen den Himmel schaute und von allen gesehen werden konnte. Auch hieß er keine Erde auf sie werfen. Zwei Männern gab er Weisung, neben ihm zu stehn und seines Winks
    gewärtig zu sein. Dann trat er zum offenen Grab, lehnte sich auf seinen Stab und ließ seine Augen auf dem Antlitz der Toten ruhen. So stand er unbeweglich, und die ihn ansahen, bemerkten, daß er gleichsam ohne Leben war, als hätte er seinen Geist an einen andern Ort entsandt. Alle umstanden in weitem Kreis das Grab. Nach einer Weile winkte er den beiden Männern. Sie traten heran und sahen, daß das Antlitz

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